„Die sind sich sicher, in dem was sie machen und wie sie die Ereignisse von 1991 bewerten“ – Interview mit pogrom 91 (Teil 2)

veröffentlicht von Alexandra Klei

Nachdem es in Teil 1 des Interviews um den Umgang in Hoyerswerda mit dem Pogrom von 1991 und mit rechter Gewalt ging, sprechen wir im zweiten Teil über die konkreten Ansätze, öffentliche Erinnerung in der Stadt zu gestalten. Im Gespräch: Mathias und Marius von der Initiative pogrom 91.

Es gibt einen Wettbewerb für ein Denkmal zur Erinnerung an die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991. Könnt ihr etwas zu der Initiative sagen, zu eurem Beitrag und zum aktuellen Stand?

MATHIAS: Zum Hintergrund: Wir hatten 2011 als Initiative die zentrale Forderung formuliert, dass wir ein Denkmal in der Stadt haben wollen, als präsenten Ort, an dem die Ereignisse erinnert werden und zwar ganz explizit als rassistisches Pogrom. Damit soll zum einen verhindert werden, dass das Ganze wieder vergessen wird, und zum anderen geht es um eine Forderung der drei Betroffenen, die 2011 zum Bürgermeister sagten: „Wir wollen, dass wir, wenn wir oder unsere Kinder an einem Tag nach Hoyerswerda kommen, einen Ort haben, an den wir gehen können und an dem steht, was damals geschehen ist und was mit den Menschen passiert ist, die in diesen Häusern gelebt haben.“ Bei der Demonstration 2011 bauten wir ein eigenes, temporäres Denkmal vor einem der Häuser, die damals angegriffen wurden, auf. Es bestand aus einer weißen Stele mit einem Plexiglaswürfel, in dem es zwei Tafeln gab. Auf der einen stand: „Zur Erinnerung an das rassistische Pogrom von 1991“, auf der anderen etwas zu den Hintergründen. Da ging es auch darum, darzustellen, dass die Betroffenen aus der Stadt geschafft wurden, die Polizei nicht in der Lage oder willens war, sie zu schützen, und einige von ihnen dann direkt abgeschoben wurden. Dazu gab es einen Pflasterstein und eine Glasscherbe. Sie sollten symbolisieren, dass die Täter gewalttätig vorgingen. Es flogen ja zum Beispiel Molotowcocktails gegen das Gebäude, womit man in Kauf nahm, dass Menschen sterben. Wir haben den transparenten Glaskasten gewählt, um den Blick durch die Gedenktafeln auf das Haus zu gewährleisten. Dies sollte zeigen: Das war damals, das ist heute, aber es steht in einem Zusammenhang und man muss sich fragen: Wie wurde und wird damit umgegangen? Später kündigte die Stadt einen Denkmalswettbewerb an, wahrscheinlich auch in Folge der Medienberichterstattung.

MARIUS: Wir hatten zudem mit einem Brief an den Oberbürgermeister gefordert, dass er sich für ein Denkmal stark machen soll.

MATHIAS: Dann wurde der Wettbewerb ausgerufen. Es gab ein Formular, auf dem man kurz die Idee des Denkmals erläutern musste. Dazu sollte man eine Skizze oder ähnliches einreichen. Aufführen sollte man zudem, wie das Denkmal finanziert werden soll. Das heißt, von Seiten der Stadt ist offenbar nicht geplant, es zu finanzieren. Als Siegerentwurf wurde ein Torbogen mit einem Regenbogen und einer offenen Tür gekürt. Das soll symbolisieren, dass Hoyerswerda heute weltoffen und tolerant ist. Dazu sind noch Worte wie Toleranz, Offenheit, Versöhnung und Gastfreundschaft auf das Denkmal geschrieben. Besonders der Begriff Versöhnung ist an dieser Stelle eigenartig. Das einzige Wort, das wir an so einer Stelle sehen würden, ist Entschuldigung und es müsste sich als Bitte an die Betroffenen richten. Versöhnung ist ein Akt, der von zwei Seiten passiert, bei dem man sich aufeinander zu bewegt. Unserer Meinung nach gibt es aber keinen Grund, warum sich die Betroffenen im Sinne einer Versöhnung auf die Stadt zu bewegen müssten. Vielmehr hat sich die Stadt dafür zu entschuldigen, was damals passiert ist. Der einzige Bezug des Denkmals zu 1991 ist ein QR-Code, den man aufrufen muss, um zu einer Präsentation der Stadt zu den Ereignissen von 1991 zu gelangen. Diese hat bisher aber noch niemand gesehen. Gleichzeitig soll auch da aber wieder gezeigt werden, wie Hoyerswerda sich zum Positiven gewandelt hat.

Nach der Bekanntgabe des Siegerentwurfes empörte sich Pfarrer Michel in einem Zeitungsartikel, dass der Stadtrat den Siegerentwurf prämiert hat, die anderen Entwürfe aber nicht öffentlich gemacht wurden. Daraufhin gab es dann Beiträge zu allen Entwürfen, auch zu unserem. Zur Zeit wird da sehr kontrovers diskutiert, aber lediglich über das Entscheidungsverfahren. Es gab nämlich ein Gremium aus den Fraktionsvorsitzenden des Stadtrats und einigen anderen Persönlichkeiten, die einen Entwurf auswählten, und nur dieser wurde dann dem Stadtrat vorgelegt, der ihn absegnete. Interessant ist, dass alle Fraktionen dem jetzigen Siegerentwurf zugestimmt haben, auch die NPD. Spätestens dort müsste man sich in der Stadt ja eigentlich fragen, was an dem Denkmal nicht stimmen kann, wenn selbst die Nazis es in Ordnung finden. Das wird an keiner Stelle öffentlich thematisiert. Unklar ist außerdem, wann, in welchem Rahmen und wo das Denkmal aufgestellt wird.

MARIUS: Für mich ist der Umgang mit diesem Denkmal auch ein Ausdruck dafür, wie bewusst vermieden wird, eine direkte Aussage zu den Ereignissen, an die es erinnern soll, zu treffen. In der öffentlich geführten Debatte wird nur über den Akt der Entscheidung gesprochen.

MATHIAS: Man hätte auch erwarten können, dass die Stadt Menschen, die sich mit dem Thema Denkmal, Denkmalskultur, Gedenkstätten auseinandersetzen und da einen künstlerischen, wissenschaftlichen und professionellen Zugang haben, einlädt, sich mit Beiträgen für den Wettbewerb oder einer Unterstützung bei der Frage, wie ein solches Denkmal zu gestalten sein könnte, zu beteiligen. Und dass man dafür auch Geld in die Hand nimmt. Stattdessen war es ein offener Aufruf, bei dem sich Hobbykünstler verwirklichen konnten, ohne dass an irgendeiner Stelle reflektiert wurde, was so ein Denkmal bedeutet, in welchem Kontext es wo aufgestellt wird.

Auch die Stadt hatte zum 15. und zum 20. Jahrestag eine provisorische Stele aufgestellt, um uns mit unseren Demonstrationen nicht das Feld zu überlassen. Auf dieser Stele hieß es: „Im Gedenken an die extremistischen Ausschreitungen vom September 1991“. Damit nahm man zum einen keinen Bezug auf die Ereignisse als rassistisches Pogrom. Zum anderen stellte man einen Bezug her zu einer Antifademo, die kurz danach stattfand und von deren Seite es in der Stadt auch Gewalttaten gab. Ursache und Wirkung, Opfer und Täter wurden wieder verdreht, an die Ereignisse als Auseinandersetzung zwischen „Extremisten“ erinnert. Der rassistische Gehalt des Geschehens, die Perspektive der Betroffenen, die Beteiligung der Bevölkerung sind völlig herausgefallen. Und dann wurde die Stele beim 20. Jahrestag auch noch auf dem Tag der Heimat zusammen mit dem Bund der Vertriebenen aufgestellt.

MARIUS: Es gibt auf der politischen und auf der verwaltungstechnischen Ebene auch zu viele personelle Kontinuitäten, die eine offene Auseinandersetzung verhindern.

MATHIAS: Natürlich sind da auch Ausnahmen, die sind aber sehr vereinzelt, wie dieser Pfarrer. Andere zivilgesellschaftliche Leute sehen sich dagegen vor allem als handlungsunfähig und sagen: „Wir können halt nichts machen.“ Interventionen können zwar über ein persönliches Gespräch Wirkung zeigen, aber sie passieren nie durch eigene Initiative. Immer muss jemand von außen kommen, die Presse, Antifas oder Menschen, die mal da gewohnt haben, und in einem freundschaftlichen Gespräch darauf aufmerksam machen, dass etwas schiefläuft oder es nicht sein kann, wie mit dem Thema umgegangen wird. Das ist für uns als Gruppe immer einer der Gründe gewesen, warum wir trotz des Widerstands aus der Stadt und aller Demütigungen, die wir dort erfahren mussten, weitergemacht haben. Wir sehen, dass wenn wir nicht dranbleiben und zum Beispiel direkt danach fragen, wer wie welche Rolle hatte, und dabei für eine mediale Präsenz sorgen, dann versandet etwas wie die Denkmalsdiskussion sofort wieder. Das gilt auch für den weiteren Verlauf: Wenn man da nicht dran bleibt, werden Gründe gefunden werden, es nicht zu bauen.

Ist ein Denkmal wie der jetzige Siegerentwurf besser als gar keins?

MARIUS: Für mich ist keins besser als das. Das Problem, das ich mit dem Denkmalsentwurf habe, ist, dass sich Hoyerswerda damit seine Rolle zementieren kann. Die Stadt kann dann immer jeglichen Einspruch gegenüber ihrem Umgang wegwischen und sagen: „Hier haben wir unser Zeichen.“ Natürlich kann man dann immer antworten: „Ja, aber euer Zeichen ist scheiße.“ Aber ich bezweifele, dass denen das irgendetwas ausmacht. Das ist eigentlich das Erschreckende: Dass man irgendwann auch zu der Einsicht gelangt ist, dass es den Leuten dort ja wirklich egal ist. Dass du mit einem Appell an ihr Verhalten scheinbar überhaupt nichts bewirkst. Die sind sich sicher, in dem was sie machen und wie sie die Ereignisse von 1991 bewerten.

MATHIAS: Das Denkmal wäre eine gradlinige Fortsetzung des Umganges, der relativiert, entpolitisiert und am Ende für das Image genutzt wird.

MARIUS: Und der jeden Bezug zu irgendetwas Konkretem total ausblendet. Ganz im Gegenteil: Mit Worten wie Toleranz wird alles auf eine total abstrakte und banale Ebene gebracht, die mit der Wirklichkeit der eigenen Geschichte und der eigenen Verantwortung nichts zu tun hat.

MATHIAS: Also für die weitere Auseinandersetzung wäre es besser, wenn das Denkmal in dieser Form nicht entsteht.

Was würdet ihr euch wünschen?

MATHIAS: In einem weiteren Rahmen betrachtet, war Hoyerswerda der öffentlich wahrnehmbare Auftakt zu Rostock, Mölln, Solingen und zu der faktischen Abschaffung des Asylrechts. Ich denke, dass es Hoyerswerda den Leuten, die bis heute mit den Folgen dessen, was damals von Nazis und Bürgern im Einklang mit der Politik erstritten wurde, zu kämpfen haben, schuldig ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen, ganz klar Stellung zu beziehen und aktiv zu werden. Ich würde mir eine Auseinandersetzung und ein Engagement wünschen, bei dem man sieht, dass Hoyerswerda sich nicht als Opfer versteht, und dass man dort sieht, dass ein schlechtes Image zu haben, gar nichts ist im Vergleich zu dem, was die Menschen erfahren, die von Rassismus in jeglicher Form in Deutschland betroffen sind. Dass man einen Bogen in die Gegenwart schlägt und die Forderungen der Leute vom Oranienplatz umsetzt: Abschiebelager schließen, Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen, keine Abschiebungen mehr durchführen. Es muss meiner Meinung nach die Lehre aus Hoyerswerda sein, dass man das den Menschen schuldig ist. Hoyerswerda war der Aufhänger, dass ganz vielen Leuten das Leben schwer gemacht wird bis zu den tödlichen Konsequenzen: Es gibt bis heute rassistische Morde, es gibt bis heute Leute, die sich in Abschiebknästen oder -lagern umbringen oder die in Regionen abgeschoben werden, wo sie der Tod erwartet.

Aus persönlicher Sicht würde ich mir noch wünschen, dass Leute, die in solchen Städten leben, egal ob sie Linke sind oder eine andere Hautfarbe haben, einfach in Ruhe aufwachsen können. Dass es Nazis gibt und dass die gewalttätig sind, wird man nie lösen können, weder in Hoyerswerda noch anderswo. Aber die Leute, die davon betroffen sind, sollen Ansprechpartner haben und Solidarität erfahren. Man darf einfach auch nicht vergessen, dass es immer noch Leute gibt, die ganz direkt von Nazigewalt und Rassismus betroffen sind. Und da muss man mit allen Mitteln, die man hat, intervenieren, um Leuten zu zeigen: Hier, wir stehen mit euch. Das sollte auch von der Linken und der Antifa erkannt und umgesetzt werden.

MARIUS: Da kann ich mich nur anschließen und würde gern noch ergänzen: Wenn ich das Gefühl hätte, dass es in Hoyerswerda Leute gibt, die genau so eine Perspektive hätten, müsste für mich nicht mal die Stadt auf dieser Linie sein oder irgendwelche Signale setzen. Wenn es Leute gäbe, die sich darüber Gedanken machen und die öffentlich den Mut hätten, sich zu äußern, wäre das ja bereits etwas.

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