„In Guben war es wie in einem schwarzen Loch“

veröffentlicht von Alexandra Klei

Guben, Kleingartenanlage

Guben, Kleingartenanlage

Im Mai 2000 gehörte Andrea zu einer Gruppe von Jugendlichen, die sich auf einer Skaterbahn in der Obersprucke trafen. Sie erzählte uns damals in einem Interview für das Buch: Nur ein Toter mehr… von der Stimmung nach dem 13. Februar in Guben und ihrem Alltag, der wesentlich von Angriffen durch Neonazis bestimmt war. 2001 ist sie zum ersten Mal aus der Stadt weggezogen. Wir trafen uns im Januar 2013 erneut und sprachen mit ihr über ihre Erinnerungen und die Frage, was sich in Guben verändert hat.

Erinnerst Du Dich an die Zeit im Februar 1999?

Damals war ich 15. Ich war viel im Fabrik e.V., das war damals ein Jugendclub. Und dort haben Leute über den Tod von Omar Ben Noui gesprochen. Das war am Tag danach. Wir haben aber am Anfang noch gedacht: ‚Auf gar keinen Fall!’ Also wir wussten, dass es in der Stadt einen Haufen Spinner gibt. Aber das war eine Nummer, die wir den Leuten nicht zugetraut hatten, also dass es wirklich einmal bis zum Äußersten geht. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Kurz danach war ja auch die Demo gewesen, bei der ich aber leider nicht war, weil meine Eltern das aus Angst um mich nicht wollten.

Wie waren die Reaktionen in den folgenden Wochen?

Ich war zu dieser Zeit viel in der Fabrik, aber das hat sich nach der Tat ziemlich schnell geändert. Mich hat das alles sehr mitgenommen und beschäftigt, aber die Leute, die damals meine Freunde waren und die da rumgehangen haben, nicht so sehr wie mich. Ich habe dann nach Menschen gesucht, für die das ebenfalls ein Thema war und die habe ich auch gefunden. Damit hat sich mein soziales Umfeld völlig verändert. Ich weiß nicht, ob ich so geworden wäre, wie ich heute bin, wenn das damals nicht so gewesen wäre. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.

Ich konnte mit meinen Eltern darüber sprechen, bei denen solche Dinge schon immer ein Thema waren. Sie waren danach völlig schockiert, weil sie dachten: ‚Ok, wenn so etwas jetzt hier passiert, machen wir uns auch Sorgen um unser Kind.’ Sie haben mich dann eine Zeit lang so ein bisschen an der kurzen Leine gehalten, mit dem Weggehen und so. Sie hatten einfach viel Angst und deswegen haben wir öfter darüber geredet. Es war ganz viel Ohnmacht und Fassungslosigkeit auf ihrer Seite, denn sie erlebten Guben ja sonst ganz anders als ich. In der Schule dagegen, ich war auf der Gesamtschule, war es überhaupt kein Thema. Aber ich wüsste auch keinen Lehrer, dem ich zugetraut hätte, über so etwas mit den Schülern zu reden.

Das ist ja auch das Irre: Medial und außerhalb von Guben war es über viele Monate ein unglaublich großes und präsentes Thema; in Guben war es wie in einem schwarzen Loch. Ich hatte immer das Gefühl, dass von außen viel mehr passiert als in der Stadt selbst. Es verging so wenig Zeit bis alle gesagt haben: ‚Das interessiert mich nicht.’ Teilweise konntest du schon am Tag nach der Hetzjagd hören, dass jemand sagte: ‚Ich will davon nichts mehr wissen. Der ist selber schuld.’ Das habe ich noch sehr gut in Erinnerung.

Was hättest Du Dir denn gewünscht, was passieren soll?

Das ist eine gute Frage. Dass man offener damit umgeht, dass sich die Stadt anders positioniert, dass man sagt: ‚Ok, das ist jetzt passiert, das ist total dramatisch, aber jetzt müssen wir zeigen, dass wir das nicht wollen.’ Aber das ist völlig ausgeblieben. Es war eher so: Man steckte den Kopf in den Sand und sagte sich: ‚Jetzt halten wir das kurz aus und dann ist wieder Ruhe in der Stadt.’

Wie war es, als Jugendliche in Guben zu leben?

Ich hatte den ersten wirklichen Konflikt mit Nazis, da war ich 13. Aber wir haben ja einen ziemlich untypischen, undeutschen Familiennamen, deshalb war ich als kleines Mädchen bereits öfter im Fokus. Ich war eben nicht auf dem Gymnasium, wo die Schüler mehr zu den Alternativen und politisch Interessierten gehörten, sondern auf einer Gesamtschule, wo ich eher mit Rechten in Konflikte gekommen bin. Aber es war sicher auch die Gesamtkombination; ich hatte beispielsweise auch häufig wechselnde, eher unkonventionelle Haarfarben. Als an der Schule bekannt wurde, dass ich Kontakte zur Antifa Guben habe, wurde es ruhiger für mich.

Ein paar Jahre später, ich war für ein kürzeres Intermezzo nach Guben zurückgekehrt, hatte ich wieder mit Sport angefangen und bin dort zwei-, dreimal in der Woche mit dem Fahrrad hingefahren. Irgendwann ist dann aus einem fahrenden Auto ein Schuss mit einer Schreckschusspistole auf mich abgegeben worden. Da habe ich dann gedacht: ‚Nun sieh zu, dass du aus der Stadt wegkommst.’ Und habe aufgehört, Regelmäßigkeiten im öffentlichen Raum an den Tag zu legen.

Ich habe noch Jahre später die Folgen dieser Zeit gespürt. So war ich zum Beispiel eine Zeit ziemlich viel in Bielefeld. An einem Samstagabend wollten meine Freunde kurz zur Aral-Tankstelle gehen. Und ich sagte, gerade aus Brandenburg gekommen: ‚Wir können doch jetzt nicht zu Aral, es ist Wochenende, mitten in der Nacht. Das können wir nicht machen.’ Sie haben überhaupt nicht verstanden, warum mir das so gegen den Strich geht, worüber ich überhaupt rede. Aber das hatte ich immer, dieses vermeidende Verhalten. Ich wusste genau, wann ich wo sein kann, was möglich ist und was nicht mehr. Und Samstagabend zu Aral zu gehen, ging überhaupt nicht.

Wie erlebst Du Guben heute?

Ich bin nur noch sehr selten da, besuche eigentlich nur noch meine Eltern, zum Beispiel zu Weihnachten. Und da treffe ich auch Freunde, die ebenfalls zu Besuch in der Stadt sind. Aber es beschränkt sich auf ein Minimum. Leute, mit denen ich mal Zeit verbringen will, die leben ja nicht mehr da. Höchstens noch Menschen, mit denen ich zur Schule gegangen bin, aber mit denen habe ich keinen großen Gesprächsbedarf. Wegen einem von denen würde ich da nicht hinfahren. Aber das ist auch gut so; jeder mit Köpfchen hat da nichts verloren.

Ich weiß nicht, wie ich die Stadt heute beschreiben soll, ich glaube, die Fronten sind nicht mehr so klar. Es gibt nicht mehr wirklich Linke und dementsprechend sind die Rechten ruhiger. Es gibt keine Reibung mehr. Zum Beispiel sind Aufkleber oder Sprühereien ja auch ein Zeichen dafür, dass man sich in einem Kampf befindet, aber wenn da kein Gegner mehr ist, brauchst du es nicht zu machen. Es ist merkwürdig da, wie eine Geisterstadt. Es ist alles saniert und schön gemacht, aber es ist kein Mensch da, du siehst niemanden.

Als wir 2006 oder 2007 den Sani (der ‚Sanikasten’ war ein selbstverwalteter alternativer Treffpunkt, der seit Oktober 2000 existierte; Anmerkung der Red.) zugemacht haben, ist dann alles weggebrochen. Zu der Zeit war auch der Jahrgang, der ganz viel gemacht hatte, mit dem Abi fertig und ist gegangen. Ich bin dann erneut 2008 weggezogen. Und da kam dann nichts mehr hinterher, kein Nachwuchs, kein neuer Ort, nichts. Es gibt ja wirklich gar nichts, wohin du gehen kannst. Ich habe mich oft gefragt: Wie kommt es, dass es keine alternative Jugendkultur in Guben mehr gibt? Die Rechten dominieren jetzt klar die Stadt. Aber man kann ja nicht mehr zurückgehen. Da müssen andere kommen, die das stört. Das macht man alles eine Zeit lang, aber irgendwann geht das eigene Leben in eine andere Richtung. Man kämpft dann auf einer anderen Ebene. Aber ich will auch nichts mehr für Guben machen. Also wie ich das sage: für Guben. Das will ich nicht mehr. Wenn es vor Ort nicht einmal ein Problembewusstsein gibt.

Gibt es etwas, an das Du Dich gern erinnerst?

Mein persönliches soziales Umfeld war zu der Zeit in Guben schön. Ich hatte tolle Freunde und wir hatten den Sanikasten. Wir hatten es schön, abgesehen von dem Stress. Wir waren ja auch eine tolle Gruppe. Aber wir waren das auch, weil es so schlimm war. Wir hätten uns ja nicht in dem Ausmaß gerührt, wenn es nicht erforderlich gewesen wäre, wenn der Druck von außen nicht so groß gewesen wäre. Wir hätten uns vermutlich nicht zusammengefunden und wir wären nicht so eine starke Gruppe gewesen. Das merkt man ja jetzt, wenn man sieht, dass es nichts mehr gibt. Wir haben vielleicht aus der Situation das Beste gemacht. Es war ein Schutzraum und ich glaube, ich habe gerade in der ersten Zeit im Sani ganz viel gelernt. Und wenn ich mir überlege, dass so ein Ort jetzt nicht da ist, dann denke ich immer: Was wird denn jetzt aus den Jugendlichen? Das finde ich ganz schlimm.

 

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