Aus dem Archiv: „Es sind eben die, die den Stress machen …“ – Teil 2

veröffentlicht von Alexandra Klei

Nachdem es in Teil 1 des Interviews mit jugendlichen Skatern in Guben um ihren Alltag und ihren Umgang mit rechter Gewalt ging, dreht sich der folgende zweite Teil um die Reaktionen auf den Tod Farid Guendouls in der Zeit 1999/2000. Das Interview erschien zuerst im Buch Nur ein Toter mehr…

Wie war es, als letztes Jahr der Algerier Farid Guendoul starb? Konntet ihr mit euren Eltern darüber reden? Wie war es in der Schule, wie wurde damit umgegangen?

Matthias: In meiner Familie konnte ich darüber reden, mit meiner Mutter, die ist PDS-engagiert, mein Vater auch, da ging es so. Aber in der Schule wurde erst einmal drüber geschwiegen, da kam nichts von Seiten der Lehrer. Von den Schüler kamen ab und zu nur so dumme Sprüche: „… ist der doof, springt gegen die Scheibe.“ Unser LER-Lehrer hat dann das Thema angesprochen, nach Meinungen gefragt. Da ging es in der Klasse richtig rum: „Was hat der denn um diese Uhrzeit noch auf der Straße zu suchen … Springt da durch die Scheibe, warum klinkt er nicht und macht die Tür auf …“ Solche Sprüche kamen. Da war ich dann völlig allein in der Klasse. Danach haben es auch die anderen Lehrer einfach sein lassen, sogar die Politiklehrer sind nicht darauf eingegangen. Sie haben ihren Stoff durchgezogen, als ob nichts gewesen wäre. Das ist schon Kacke, weil die Lehrer meines Erachtens die Pflicht haben, wenn etwas aktuell ist, auch darauf einzugehen. Das ist ja nicht alltäglich, dass in Guben ein Asylbewerber zu Tode gehetzt wird, und dass dann gar kein Lehrer was macht, war schon erschreckend. Wenn der Grundtenor in den Klassen überall so ist wie in meiner, ist das schon ganz schön schlimm.

Thomas: Bei mir war es auch so: „Wie kann man nur so bescheuert sein und durch eine Scheibe springen … Der soll die Faschos ja auch dumm angemacht haben … Der ist doch selber dran schuld, er hätte doch die Tür aufmachen sollen …“ Das haben sie alle gesagt. Manche haben auch gesagt, wenn so etwas noch mal passieren würde, dann würden sie auch mitmachen.

Ali: Ich war zu der Zeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten, da stand es sogar in den arabischen Zeitungen, mit Matthias’ Bruder auf dem Titelbild. Ein bisschen arabisch kann ich ja noch lesen. Und als ich das gelesen hatte, hab ich erst mal meinen Mund nicht zugekriegt. Guben? Da habe ich gezweifelt: Vielleicht habe ich falsch gelesen. Dann hab ich Verwandte gefragt, wie es heißt, und dann dachte ich: „Oh, der sieht ja Matthias irgendwie ein bisschen ähnlich, sieht aus wie Matthias’ Bruder.“ Und dann: „Das kann ja wohl nicht sein.“ Im Nachhinein hab ich dann erfahren, dass eine Demonstration war, eine spontane Demo. Und natürlich hat man sich dann auch ein bisschen stark gefühlt. Es war auch Gesprächsthema Nummer eins.

Matthias: Bei der Demo wurde das Auto von Matthias M. leicht beschädigt. Danach war der Grundtenor so: „Ihr seid doch alle doof und randaliert da noch, die armen Rechten …“ So auf die Art und Weise: „Die armen 15 Mann … Das waren ja gar nicht 15 und die sind ja nicht grölend durch die Straßen gefahren …“ Anstatt Mitleid mit dem Algerier zu haben, der zu Tode gekommen war, wurden die Täter zu den Opfern gemacht. Und wenn du dann mal versucht hast, mit den Leuten zu diskutieren, sind sie ausfallend geworden, haben rumgeschrien.

Ali: Noch dazu, wie ich mit meinen Eltern darüber reden konnte. Wir sind nicht-deutscher Herkunft und meine Eltern hatten erstmal ziemlich Angst um mich. Sie sind sowieso immer ein bisschen ängstlicher und wenn ich mit meinem „Links“-Gerede anfange, dann wird immer abgewehrt. Dann sind die Linken Chaoten und sollten doch nicht so viel randalieren. Sie sollten es doch machen wie die Rechten und friedlich demonstrieren. (Gelächter) Na gut, einerseits ist es auch verständlich … Nein, verständlich nicht, für mich nicht verständlich … Aber wenn der normale deutsche Bürger so Einheit, Einheitskleidung, Uniform, alle mit Glatze sieht …

Matthias: Bei uns an der Schule da ist einer, der ist ein Einser-Schüler, läuft in ordentlichen Klamotten rum, der trifft schon mal auf Zuneigung bei den Lehrern. Sogar meine Mutter sagt von dem: „Ja, der rennt immer schön ordentlich rum und ist gut in der Schule.« Zu den Prügel-Faschos sagen auch alle: „Nö, die wolln wir nicht.“ Aber wenn sie so ordentlich sind und schön deutsch, die gepflegten Faschos eben, dann … Der aber, mit seinem ordentlichen, gepflegten Outfit und den gestylten Haaren nach rechts, dem ordentlichen Polo-Shirt, gefällt dem Normalbürger. Kommst du aber mit weiten Hosen und rotem T-Shirt, auf dem was draufsteht, kannst du dir in der Schule ständig dumme Sprüche anhören: „Zieh dir die Hosen ordentlich hoch … Was heißt denn das da auf dem T-Shirt … Waren doch och bloß alles Kommunistenschweine …“

Thomas: Wenn ich bei alten Ornis oder Opis höre, wie die so über die Rechten reden, schauen die eher nicht so auf die Gewalttaten, die sagen: „Die wollen ja eigentlich gar nicht so was Schlechtes, die sind noch jung, die haben noch ihre Kraft, die sind eigentlich für unser Land, unser schönes Deutschland, das es so bleibt, so sauber bleibt …“

Robert: Bei uns in der Schule haben wir ziemlich viele Faschos, da sind wenige Linke. Die Lehrer haben auch nicht angesprochen, dass der Algerier gestorben ist. Und es kamen dann auch solche Sachen wie: „Warum klinkt der nicht erst mal … Selber schuld, wenn er da durch die Scheibe springt … Er hätte ja auch wegrennen können, sich verstecken …“ Teilweise wird jetzt noch so darüber geredet und sich über ihn lustig gemacht.

Andrea: Das ist bei mir in der Klasse genauso. Ein Typ geht immer ins Bitburger. Gegenüber ist die Gedenktafel und da stand letztens so ein kleiner Junge. Als der Typ raus kam, hat er den Jungen angemacht: „Heul doch!“, und nur so ‘ne Scheiße. Und zu mir kommt er dann immer mit „rote Sau“ und solchen Geschichten.

Matthias: Beim Aktionswochenende oder bei der Gedenksteineinweihung war diese „tolle“ Europaschule nicht vertreten, nur von Schülerseite her …

Andrea: Letztens, bei der neuen Gedenktafel, waren aber auch Lehrer von uns da.

Matthias: Aber beim Veranstaltungswochenende nicht. Gerade von der Europaschule, die immer darauf besteht, Kontakte ins Ausland zu haben und was zu tun gegen Rassismus, für Toleranz und so, waren kaum Leute vertreten, bis auf einen Lehrer bei der Gedenksteineinweihung.

Ali: Ich weiß von unserer Schule mit der berüchtigten Penne-Disco, dass es dort einige gibt, die bei der Musik ‘nen Adolf-Hitler-Tanz machen, also den Arm ausgestreckt halten und „Sieg Heil“ schreien. Wir haben den DJ daraufhin schon mal angesprochen und gefragt, ob er da nichts machen kann. Er sagte, nee, kann er wohl nicht. Unserer Direktorin habe ich von diesem Vorfall erzählt, hab gefragt, was sie denn davon hält und ob man das nicht irgendwie bekämpfen könnte oder irgendwas dagegen tun könnte. Vielleicht täusche ich mich auch, aber ich hatte eher das Gefühl, dass sie das nicht so interessiert. An den Schulen versucht man unter den Teppich zu kehren, dass man rechte Jugendliche hat. Es wird auch gar nicht ernst genommen, dass bei uns gezielt und von Leuten, die bekannt für ihre rechte Einstellung sind, rechtsextreme Musik verteilt, abgespielt, verkauft wird. Da wird nichts gesagt, auch wenn die CDs vor den Augen der Lehrer liegen. Aufnäher mit Schwarz-weiß-rot und irgendwelchen Kreuzen drauf, verbotene Aufnäher werden bei uns auch nicht beschlagnahmt.

Matthias: Das ist auch ein allgemeines Problem. Viele Lehrer denken: „Was soll ich mich jetzt mit dem Schüler heiß machen, dann bin ich der doofe Lehrer und dann bin ich bei allen Schülern durch.“ Die Lehrer wollen ihre Ruhe haben, Lieblingslehrer sein, mit keinem Stress haben. In meiner Jahrgangsstufe hat es in der neunten Klasse angefangen, dass Leute mit weißen Senkeln in ihren Schuhen und mit Bomberjacken aufgetreten sind. Die meisten mit Aufnähern „Deutschland in den Grenzen von 1938“. Kein Lehrer hat was dagegen gemacht. Meine Mutter hat mal die Klassenlehrerin angesprochen und die hat geantwortet: „Ach, was soll ich denn machen. Es ist doch nicht so schlimm.“ Das war dann die Reaktion darauf. Und das ist eben das Problem an den Schulen allgemein, die Lehrer haben einfach keinen Bock, sich damit auseinanderzusetzen. Da muss man wirklich ansetzen.

Clemens: Also ich hab an der Schule kein Problem. Ich hatte mit mehreren Lehrern darüber gesprochen, dass ich da gejagt wurde, und die haben mir zugehört und auch was unternommen. Jetzt kommen Leute von anderen Schulen einfach nicht mehr in die Disco rein, die müssen jetzt den Schülerausweis zeigen. Und meistens wissen die Leute, die da Einlass machen, auch, wer an der Schule ist und wer nicht.

Matthias: Na ja, die sind aber auch Rechte …

Clemens: Das ist doch Wurst, die tun mir nichts, ist mir dann egal, wenn die kommen. Jedenfalls hab ich dann mit Frau L., die ist auch PDS, und dem stellvertretenden Schuldirektor Herrn P. gesprochen. Die wollten wissen, was ich so mache, und haben dann auch gefragt, ob sie was dagegen unternehmen sollen. Das fand ich eigentlich ziemlich okay. Ich denke, über alle Lehrer kann man nicht sagen, dass sie sich nicht drum scheren. Wenn man zu denen was sagt und man einigermaßen gut mit ihnen klar kommt, dann probieren sie schon, was zu machen … Ein bisschen haben wir ja damit erreicht.

Robert: Bei uns an der Schule ist es nicht so extrem. Mittlerweile dürfen wir im Schulclub keine CDs mehr reinmachen, da die Nazis andauernd ihre CDs mitgebracht hatten. Bis der Direktor dann irgendwann mal gesagt hat, es darf gar keiner mehr CDs reinmachen. Sie konnten das nicht mehr überblicken, was für eine CD gerade drin ist. Jetzt haben zwar noch viele ihre Nazi-CDs mit, hören die aber mit Walkman.

Matthias: Die Rechten sind jetzt auch weggegangen von der Musik, die man sofort erkennt, so wie Kraftschlag und Störkraft. Einer an meiner Schule, der ist schon ein bisschen länger rechts, der hatte zum Beispiel auch so rechte Musik. Man hat aber nicht gleich gehört, dass es rechte Texte sind. Man hat eben gemerkt: völkische Musik, völkische Texte. Es ging nie gegen Ausländer, aber um die „schöne deutsche Heimat“, wie schön doch alles in Deutschland wäre … Ich denke, das ist jetzt ihr Niveau, sie haben gemerkt, dass sie mit ihrer aggressiven Musik nicht weiter kommen. So setzen sie jetzt mehr auf das, was man nicht auf den ersten Blick durchschaut. Anders als „Skinhead, Skinhead, Skinhead“, das erkennt ja wohl jeder.

Ali: Was mich tierisch belastet und ankotzt, ist, dass die Rechten gezielt versuchen, sich überall breit zu machen, zum Beispiel jetzt im Intervall. Ich weiß nicht, wie es im Budget ist, aber in der Fabrik seh ich jedes Mal, wenn Disco ist, dass die da hinkommen und mehr Kontakte mit den Intervallmitgliedern, die so rechts angehaucht sind, knüpfen, dass sie da immer präsenter sind. Die Rechten fassen da immer mehr Fuß. Früher haben sie gesagt: „Nee, da gehen wir nicht hin“, und jetzt wollen sie sogar mal ins Budget kommen.

Thomas: Vor zwei Jahren ungefähr hat das Budget integrierende Sozialarbeit gemacht. Die Sozialarbeiterin hat immer mal drei Faschos eingeladen und die kamen dann auch mal so ins Budget. Silvester haben sie dort Stress gemacht, Ronny P. und so. Dann ist das ganze Budget raus und da haben sie schon gemerkt, dass dort eben nicht der Jugendclub ist, wo sie sich hintrauen sollten. Aber in der Fabrik sehen sie, da sind nur Kinder, die machen eh nicht viel. Da können sie sich dann breitmachen. Da gibt es auch einige, die hängen auch mit vielen Faschos rum. Einige von denen konnten dann da als Einlasser das Geld kassieren. Da waren dann auch Jan H. und Maik N. in der Fabrik und haben rumgelabert.

Ali: Vielleicht sollten wir mal versuchen, uns irgendwo breit zu machen. ‘nen Versuch wäre es ja wert, aber da hätten wir wohl nicht so viel Zuspruch von unseren Leuten, oder? (Kopfschütteln)

Andrea: Da hat doch keiner Bock, es will doch keiner den Stress machen.

Könnt ihr vielleicht noch etwas von positiven Reaktionen berichten?

Matthias: Positiv finde ich die PDS-Fraktion hier in Guben, weil sie versucht, uns zu unterstützen. Dieser Raum hier würde uns im Monat 200 DM kosten, aber wir kriegen von der PDS 100 DM. Sie haben eine eigene Zeitung, den Linken Stadtanzeiger, da haben wir immer die Möglichkeit, Artikel auf einer ganzen Seite zu bekommen, sodass wir da zeigen können, dass es uns noch gibt. Wenn irgendwelche Veranstaltungen sind, wie mit dem Gedenkstein beispielsweise, sind sie auch immer da und zeigen Präsenz.

Thomas: Im Großen und Ganzen muss ich sagen, dass die Stadtverwaltung überhaupt nicht dahinter steht. Jedenfalls hab ich das Gefühl. Bei diesen ganzen Gesprächsrunden gegen Rechtsradikalismus sieht man’s zum Beispiel: Wenn die Leute von der SPD einfach so weggehen, weil sie sich sagen, es bringt doch eh nichts, oder wenn die ganze Zeit bloß erzählen, wir müssen mal was machen. Wie der Ingo L., der Sozialarbeiter; der erzählt immer und erzählt, wir müssen was unternehmen, aber wenn es dann mal darum geht, was wir machen, dann kann er sich ja nicht so einmischen, er darf sich ja nicht auf die rechte oder linke Seite begeben, weil ansonsten … Was weiß ich.

Daniel: Von den Projekten der akzeptierenden Sozialarbeit ist er aber auch weggekommen. In der Richtung macht er nicht mehr so viel. Er hat auch schon erkannt, dass der Rechtsextremismus hier in Guben eine große Gefahr ist, und nicht so wie alle anderen, die sagen, der Linksextremismus, das ist Blödsinn.

Matthias: Der Hammer war aber, dass Ingo L. sich vor zwei Jahren bei Bärbel Schäfer ins Fernsehstudio gestellt hat. Es ging um das Thema „Links und Rechts«. Und er hat dann behauptet, er war in beiden Gruppierungen drin, er war mit einbezogen, und bei jeder Gruppierung geht es bloß um Prügeln, um Saufen und was weiß ich. Das war wirklich unter aller Sau, was er da erzählt hat. Politische Aspekte hat er überhaupt nicht beachtet. Man kann doch nicht von jedem, der sich zu irgendeiner Gruppierung hingezogen fühlt, behaupten, dass er da bloß Stress haben will, das ist ja vollkommener Blödsinn …

Möchte noch jemand was sagen?

Ali: Also ich find es echt cool, dass es so was mal gegeben hat, dass mal jemand unsere Meinung angehört hat oder anhören wird. Vielleicht ist das ein Anfang für irgendwas Großes, was später mal kommen wird, vielleicht, dass Guben mal rot wird.

 

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