Ein Stein ist ein Stein ist ein Stein…

veröffentlicht von Alexandra Klei

Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Vom Zustand der Erinnerung an Farid Guendoul in Guben

Die Bedeutung von materiellen Erinnerungszeichen, zu denen Denk- und Mahnmale, künstlerische und architektonische Installationen ebenso wie Gedenktafeln gehören, wird häufig in der Aussage gesehen, die sie über den Erinnerungswillen der sie errichtenden Gemeinschaft zum Zeitpunkt ihrer Entstehung machen. Aussagen zum erinnerten Gegenstand, das heißt, dem historischen Ereignis, auf das sie sich beziehen, gelten als nachgeordnet. Wer heute auf den Gedenkort für Farid Guendoul in unmittelbarer Nähe zur Cottbuser Straße – der B320 – aufmerksam wird, kann demnach zuallererst feststellen, dass der Stadt Guben nach dem Tod des algerischen Asylsuchenden Farid Guendoul daran gelegen war, an ihn zu erinnern, im materiellen Sinn des Wortes, ein Zeichen zu setzen.

Farid Guendoul (28 Jahre)
verblutet am 13. Februar 1999
Mahnmal
gegen Rassismus
gegen Gewalt
gegen Fremdenfeindlichkeit
Die Würde des Menschen ist unantastbar!

steht auf der Inschrift einer Platte, die auf einem im Boden versenkten Stein aufgebracht ist. Der kleine Text geht auf das Frühjahr 2000 und das Engagement des Gubener ‚Forums gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit’ zurück, eines Zusammenschlusses von Vertreter/innen verschiedener Parteien, Vereinen und anderen Institutionen und damit der politischen und zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit der Stadt.

Zu lesen ist zum einen, dass ein Mensch mit einem nichtdeutsch anmutenden Namen gestorben ist. Auffällig ist dabei die konkrete Bezeichnung seines Todes, er ist „verblutet“; damit wird eine besonders drastische Art des Sterbens benannt, den Leser/innen ein dramatisches Bild vermittelt. Zum anderen wird der Standort des Gedenksteins als Mahnmal definiert. Dabei setzt die Inschrift den Schwerpunkt auf die Verweise zur Funktion des Ortes. Das Ereignis und sein Ablauf sind nachgeordnet. Es wird somit – im Gegensatz zur konkret grauenvollen Benennung seiner Todesursache – kein Beitrag zu einem Verständnis darüber geleistet, was genau an diesem Tag geschah. Aber auch die mahnenden Forderungen sind floskelhafte Allgemeinplätze.

Davon ausgehend, dass beide Teile des Textes in einem Verhältnis stehen, kann der Tod eines Ausländers als Ursache für die Errichtung des Mahnmals verstanden werden und damit für die Möglichkeit der Stadt, ein Bekenntnis abzugeben und sich zu positionieren gegen gemeinhin als geächtet anzusehende Haltungen. Dies könnte ein Verweis auf die gesellschaftliche Situation zum Zeitpunkt der Einrichtung sein: Offensichtlich war es notwendig, dass die Stadtoberen an dieser Stelle Rassismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verurteilen und gleichzeitig darauf verweisen, dass es eine unantastbare Würde des Menschen gäbe. Gleichzeitig lässt dies den Schluss zu, dass Farid Guendoul nicht einfach nur „verblutet“ ist, sein Tod vielmehr im Zusammenhang mit Rassismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und nicht respektierter Menschenwürde steht. Das Mahnmal verweigert einseitig eine Zuordnung zu konkret handelnden Menschen; offen bleibt, wer der oder die Täter waren und welche Tat sie begingen. Zudem schließt sie die beiden Überlebenden ihres Angriffs – Issaka K. und Khaled B. – aus der Erinnerung aus.

Nicht nur der Inhalt der Tafel bedarf einer Kenntnis dessen, was am 13. Februar 1999 geschah, auch der Standort verweigert sich einer Zuordnung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass er sich auf den Tod eines Menschen in Guben bezieht. Aber bereits derjenige, der ihn heute aufsucht, muss um seine Existenz wissen: auf einer Wiese, zwischen einer Reihe aus kleinen Bäumen und einer dicht befahrenen Straße. Fußgänger/innen passieren ihn mit Sicherheit selten, kein angelegter Weg führt auf ihn zu oder unmittelbar an ihm vorbei. Offensichtlich ist seine räumliche Bezuglosigkeit. Auf der Wiese selbst erscheint die Standortwahl willkürlich, jeder andere Platz innerhalb eines Radius von 20 Metern käme auch in Frage. Wer mit der Möglichkeit, die Inschrift zu lesen, vor ihm steht, hat als Hintergrund die Wiese und die Straße, mithin keine visuellen Bezüge, die den Gedenkstein in seiner Lage kontextualisieren könnten. Linkerhand, aber in einiger Entfernung – erst durch eine große Rasenfläche, dann durch eine Wohngebietsstraße mit Parkplätzen erreichbar – steht eine sanierte Plattenbaureihe.

Nur wer um die Ereignisse vom 13. Februar 1999 weiß, könnte eine Beziehung zu einem Ort herstellen, der einst einige Metern im Rücken des/der Gedenksteinsucher/in lag: Bis 2003 befand sich dort die Zeilenbebauung der Hugo-Jentsch-Straße, damit auch der Hauseingang Nr. 14, in dem Farid Guendoul verblutete. Heute ist dort lediglich eine Wiesenfläche mit einzelnen Sträuchern, angrenzend richtete die Stadt einen Park mit einem Kletterfelsen ein. Es gibt also keine Bewohner/innen mehr, welche es als Stigmatisierung empfinden könnten, wenn an ihrem Hauseingang an Farid Guendoul erinnert wird, wie es noch im Zuge der Einrichtung der Gedenkstätte der Fall war. Damit ist davon auszugehen, dass niemand auf die Idee kam, den Gedenkstein wenigstens mit dem Abriss an den Ort zu verlegen, an dem der Algerier starb und damit ein Mindestmaß an Zuordnung zu ermöglichen. Die Platte selbst ist mehrfach zerkratzt, ein wenig verbeult, an einigen Stellen fehlt es der Inschrift an Farbe. Dieser Zustand bietet keinen Hinweis auf Akteur/innen, denen ein makelloser Zustand als Verweis auf die Würde der Erinnerung an den Toten ein Anliegen wäre.

Während die Tafel die Ereignisse am 13. Februar 1999 nur andeutet, Inhalt, Standort und Zustand einige Rückschlüsse auf seine Bedeutung und Wahrnehmung in Guben nahe legen, ist die Geschichte seiner Entstehung nicht ablesbar. Der Gedenkort selbst war bereits am 16. Juli 1999 eingeweiht worden, allerdings ging die Initiative nicht von der Stadt, sondern von der Antifa Guben aus. Dieses Datum in seiner zeitlichen Nähe zum 13. Februar erscheint vor dem Hintergrund, dass – auch im Kontext der Prozesseröffnung am 3. Juni 1999 – das Ereignis selbst noch sehr präsent und damit Bestandteil einer aktiven Erinnerung und eines kommunikativen Gedächtnisses war, ungewöhnlich. Er sollte weder einem Geschehen gedenken, über das vor Ort ein Konsens herrschte – dann wäre die Initiative überflüssig gewesen oder zum Beispiel von einer städtischen Einrichtung ausgegangen –, noch etwas in Erinnerung rufen und archivieren, dass in eine öffentliche oder gesellschaftliche Vergessenheit zu geraten droht, falls es nicht in andere Medien übertragen werden kann. Vielmehr scheint es für die Akteur/innen notwendig gewesen zu sein, reagierend auf die Stellungnahmen und Stimmungen in der Stadt ein Statement im öffentlichen Raum abzugeben.

Da es sich bei der Antifa Guben um eine Gruppe handelt, die einen kommunalen Diskurs weder vorgibt noch maßgeblich bestimmt, ist der Gedenkstein also auch ein Verweis darauf, dass sie im Zuge der Reaktionen auf den 13. Februar zu einem Akteur wurde, der sich öffentlich wahrnehmbar positionieren konnte und dem dies, bezogen auf die Einrichtung des Gedenksteins, ohne ein langwieriges Verfahren möglich war. Dass der Gedenkstein nicht die Haltung der Stadt zu den Ereignissen darstellte, wird zudem deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Gedenkstein zunächst eine andere Tafel mit anderer Inschrift trug, die in der Nacht vom 3. zum 4. März 2000 von bis heute polizeilich nicht ermittelten Personen gestohlen wurde:

Hier starb am frühen Morgen des 13. Februar 1999
OMAR BEN NOUI (28 Jahre)
Er wurde Opfer einer rassistischen Hetzjagd
von rechten Gubener Jugendlichen
Wir werden sein Andenken bewahren.
Antifa Guben

Mit der Inschrift werden zunächst vier Aspekte deutlich: „Hier“ verortet das Geschehen. Im Kontext der Geschichte des Gedenksteins verweist dies auf das Bemühen der Initiatoren, die Tafel am Hauseingang selbst anzubringen, und darauf, dass der heutige Standort demnach ein Kompromiss war, der diese Zuschreibung absurd erscheinen lässt: Hier ist eben nicht da drüben, über die Straße und dann nochmal 20 Meter weiter. Zum Zweiten ist Omar ben Noui der Name, unter dem Farid Guendoul in Deutschland lebte, und der, unter dem sich die Erinnerung an das Ereignis weithin durchsetzte. Zum Dritten bezieht die Inschrift das Geschehen ein und macht es konkret: Farid Guendoul wurde nicht Opfer abstrakter gesellschaftlicher Begriffe von Rassismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit; er wurde von rechten, rassistisch agierenden Jugendlichen, die aus der Stadt Guben selbst kamen, in den Tod gehetzt. Schließlich widmet die Antifa der Funktion des Ortes nur eine Zeile: Der Gedenkstein dient der Selbstvergewisserung der Gruppe; sie ist es, die das Andenken des Opfers zu bewahren verspricht.

In den ersten Jahren der Existenz des Gedenksteins wurde die Platte wiederholt zerkratzt, bespuckt, mit Bier und anderen Flüssigkeiten bekippt, von Hunden angepinkelt. Sie wurde unter Zuhilfenahme eines schweren Gegenstandes zerbeult und sie wurde gestohlen. Blumen wurden nach Gedenkveranstaltungen regelmäßig zertreten oder weggeschmissen. Eine Initiative um den damaligen Generalsuperintendenten und Vorsitzenden des Brandenburger Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Rolf Wischnath wollte sie ins Rathaus verlegen. Zahllose Einwohner/innen von Guben wünschten sich öffentlich, dass sie entfernt werden solle.

Die Gedenkstätte war damit nicht nur ein umstrittener Ort, der in Folge eines Kompromisses und unter Ausblendung der tatsächlichen Ereignisse hergestellt wurde, sie war vor allem ein bekämpfter Ort, der aus dem städtischen Raum wieder verschwinden sollte. Ihr heutiger Zustand, ihre faktische Nichtwahrnehmbarkeit im öffentlichen Raum und das Fehlen einer größeren gesellschaftlichen Gruppe, für die dieser Ort ein Erinnerungsort ist, legen nahe, dass sie gar nicht mehr entfernt werden musste, um dem Vergessen anheimzufallen.

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