Noten des Hasses aus Guben – Der Fall des V-Manns Toni S.

veröffentlicht von Redaktion

Am Abend des 20. Juli 2002 lösten Beamte des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) ein Konzert von NS-Metal-Bands auf, das in Berlin-Marzahn stattfinden sollte. Sie nahmen drei der etwa hundert anwesenden Neonazis fest. Unter ihnen war der damals 27-jährige Toni S., über Jahre eine zentrale Figur der Szene in Cottbus und Guben. Der Zugriff war kein Zufall. Das LKA hatte gegen S. ermittelt und ihn überwacht, weil er in die Produktion der CD „Noten des Hasses“ des Musikprojekts White Aryan Rebels involviert war. Die Beamten gingen offenbar davon aus, dass an jenem Abend Pläne für eine zweite Auflage der konspirativ hergestellten CD besprochen werden sollten. In ihren Songs drohten die White Aryan Rebels Mord und Terror an.

Durch eine Abhörmaßnahme hatte das LKA auch erfahren, was Toni S. wenig später selbst eingestand: Er war V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes und fühlte sich dadurch in seinem Handeln gedeckt und bestärkt. Die Affäre wurde in den folgenden Monaten zu einem Skandal um die Unterstützung rechtsextremer Strukturen und Straftaten durch den Verfassungsschutz. An ihrem Ende erhielt S. eine Bewährungsstrafe. Ein Verfahren gegen den VS-Mann, der ihn „betreute“ und dem unter anderem Strafvereitelung vorgeworfen worden war, wurde 2005 wegen Geringfügigkeit eingestellt. Etliche Fragen blieben offen. Inzwischen kommen neue hinzu. Toni S. hatte auch Kontakte in das Umfeld der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

Eine Neonazi-Karriere

Toni S. entwickelte sich seit Anfang der 1990er Jahre zu einem Protagonisten der Neonazi-Szene in Cottbus und Guben. Als Jugendlicher soll er Mitglied der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) gewesen sein, die 1995 aufgrund ihrer offensichtlichen Nähe zum Nationalsozialismus und ihres aggressiven Auftretens verboten wurde. Nach seinem Bundeswehrdienst zog er nach Cottbus um und wurde in der Musikszene und in neuen Organisationen aktiv.

S. war zusammen mit dem Cottbuser Ivo H. Mitte der 1990er an der Gründung der Wanderjugend Gibor (WJG) beteiligt. Die WJG praktizierte eine rechtsextreme Nachwuchsarbeit im Sinne der 1994 verbotenen Wiking-Jugend. Sie organisierte Wanderausflüge in die Sächsische Schweiz, Kameradschaftsabende und Sonnenwendfeiern und verband dies mit ideologischen Schulungen. Neben den Gemeinschaftserlebnissen und der „körperlichen Ertüchtigung“ vermittelte die WJG ihren Anhängern ein Weltbild aus germanisch-völkischer Mythologie und nationalsozialistischen Ideen. In Guben zeigte sich eine Gruppe jugendlicher Neonazis besonders empfänglich für diese Angebote. Einer von ihnen, Alexander Bode, wurde 1999 verantwortlich für den Tod Farid Guendouls und ist heute stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Lausitz.

In Guben gründete Toni S. 1997 zudem eine Bundeswehr-Reservistenkameradschaft (RK). Als Obergefreiter d.R. war er zeitweise ihr Vorsitzender. Die RK Guben nutzte die Möglichkeiten des Reservistenverbandes und unterhielt eigene Räumlichkeiten in Jänschwalde-Ost, veranstaltete Wehrübungen und Kameradschaftsabende. Immer mit dabei: der harte Kern der Neonazi-Szene aus Guben und Cottbus. S. soll intern insbesondere für die Übungen auf Schießplätzen der Bundeswehr geworben haben. Erst nachdem der V-Mann 2002 aufgeflogen war, wurde der Hintergrund dieser Aktivitäten dem Reservistenverband bekannt, der dann intervenierte.

Der Internetauftritt der RK Guben war zeitweise unter der selben Domain zu finden wie die Website der Cottbuser Neonazi-Band Frontalkraft. Doch nicht nur als Bundeswehr-Reservisten fanden S. und die Band zusammen. Nach Aussage von Szenekennern soll S. die Musiker bei der Produktion der ersten Frontalkraft-CD „Wenn der Sturm sich erhebt“ 1996 ins Tonstudio begleitet haben und ein wesentlicher Verantwortlicher für den Vertrieb geworden sein. Daneben habe S. einige Auftritte für den schon genannten Ivo H. organisiert, der als Liedermacher unter dem Pseudonym Iwolf unterwegs war und das WJG-Konzept auch in persona vermittelte. Dieses „Schaffen“ von Ivo H. war prägend für eine Szene jüngerer, in hohem Maße völkisch orientierter Neonazis.

Seinen Einstieg ins Musikgeschäft erweiterte Toni S. um den Vertrieb rechtsextremer Musik-CDs. Anfangs soll es sich noch um Raubkopien gehandelt haben, aber S. professionalisierte den Handel. Er wurde in der Region zu „der Adresse“ für die Szene und eröffnete in Guben-Obersprucke das Ladengeschäft Top One (später in Hatecrime umbenannt), wo er neben den CDs auch szenetypische Bekleidung und Propagandamaterialien anbot. Der Laden Top One wurde einer der Anlaufpunkte für Gubener Rechtsextreme. Dort traf man sich und dort konnte man sich mit allem versorgen, was nötig ist, um sich einen Alltag als Neonazi zu gestalten: Ideen, Unterhaltung und Zugehörigkeit.

1997 wurde Toni S. wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt. Ab 2001 ermittelte die Cottbuser Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen Propagandadelikten gegen ihn.

Eine V-Mann-Karriere

In den gut zehn Jahren seiner Neonazi-Karriere machte sich S. über die Region hinaus einen Namen und baute ein umfangreiches Netz von Kontakten auf. Vermutlich war das einer der Gründe, warum er für den brandenburgischen Verfassungsschutz als Quelle interessant erschien. In einem späteren Gerichtsverfahren hieß es, dass S. im Sommer 2000 infolge eines von ihm begangenen Verkehrsdelikts als V-Mann „geworben“ wurde. Etwa zur selben Zeit stieg er in die Produktion zweier CDs ein, die in der Neonazi-Szene Kultstatus erlangten.

Die Band Landser, 1992 gegründet und seitdem konspirativ agierend, wurde in den 1990er Jahren die bekannteste deutsche Neonazi-Band. Ihre Songs waren immer wieder der Soundtrack zu rechtsextremen Gewalttaten – so motivierten sich zum Beispiel am 13. Februar 1999 in Guben die elf Jugendlichen auf ihrer Jagd nach Ausländern mit Musik von Landser im Autoradio.

1999 begannen Landser mit der Arbeit an ihrer CD „Ran an den Feind“. Mit der Produktion beauftragten sie den Chemnitzer Jan W., Inhaber des Labels Movement Records und zeitweilig Chef der sächsischen Sektion des Blood&Honour-Netzwerks. Nachdem dieser mit der Band im Studio war, übergab er die Master-Aufnahmen im Sommer 2000 an den Sebnitzer Mirko H., der die CD-Pressung organisierte. Mirko H., Hammerskin-Aktivist und vermutlich V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, gestaltete auch ein CD-Booklet und beauftragte Toni S. mit dessen Druck. S. ließ daraufhin das Booklet in einer polnischen Druckerei fertigen. Dass er in der Produktionskette kein subalterner Dienstleister war, legt nicht nur die konspirative Organisation nahe, sondern auch eine spätere Aussage von Mirko H. vor Gericht: „Ohne Toni S. lief in der Szene damals gar nichts.“ Den brandenburgischen Verfassungsschutz soll S. erst dann umfangreich über den Produktionsablauf informiert haben, als der Vertrieb bereits angelaufen war.

Im Sommer 2000 beteiligten sich Toni S. und Mirko H. daneben auch an Produktion und Vertrieb der eingangs genannten CD „Noten des Hasses“. Initiator des Projekts White Aryan Rebels war der Berliner Lars B., wie S. ehemaliger FAP-Aktivist. Zu dritt brachten sie knapp 3000 Exemplare in Umlauf. Die Songtexte gaben Hass und Brutalität wieder und riefen zu Mordaktionen auf, so hieß es: „Mit der Lizens zum Töten ziehen wir dann durch das Land, dann wird alles Kranke erschlagen und niedergebrannt“ oder „Nennt sie Nigger, denn das sind ihre Namen, hängt die Nigger auf und habt kein Erbarmen“. Mit dem Song „Die Kugel ist für dich“ wurden verschiedene Prominente des öffentlichen Lebens bedroht. S. soll seinen V-Mann-Führer detailliert über die Vertriebswege informiert haben. Konsequenzen folgten daraus nicht.

2002 planten die Macher eine Neuauflage der CD – wiederum mit Kenntnis des Verfassungsschutzes. Erst die Ermittlungen der Berliner Polizei, die Toni S. in Untersuchungshaft nahm und ihn als V-Mann auffliegen ließ, stoppten das Vorhaben. Im November 2002 eröffnete das Landgericht Berlin ein Verfahren gegen S. unter anderem wegen Volksverhetzung. Diesmal war er es selbst, der seine Rolle in der CD-Produktion hervorhob: „Lars B. wäre ohne Mirko H. und mich nicht in der Lage gewesen, die erste Auflage so einfach zu verbreiten.“

Im Gerichtsverfahren kam darüber hinaus in Gesprächsprotokollen abgehörter Telefonate zur Sprache, wie der brandenburgische Verfassungsschutz S. darin unterstützte. Der V-Mann-Führer mit dem Decknamen „Dirk Bartok“ habe S. immer wieder Hilfe bei Problemen mit Behörden versichert. Er habe S. angehalten, seine Wohnung von strafrechtlich relevanten Dingen zu „säubern“, was dieser als Warnung vor polizeilichen Ermittlungen verstehen musste. S. soll außerdem einen datenfreien Ersatzcomputer zur Tarnung erhalten haben, um seinen eigenen verstecken zu können. Auf Anraten von „Bartok“ habe S. ein gesondertes Lager für hunderte CDs mit strafbaren Inhalten angelegt. Er hätte seine Geschäfte „niemals in so großem Stil aufgezogen, wenn die Potsdamer mir nicht Straffreiheit zugesagt hätten“, sagte S. vor Gericht aus.

Das Landgericht verurteilte S. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, und stellte fest, dass er die Straftaten mit Wissen und Billigung des Verfassungsschutzes verübte. Dass sich der Angeklagte in seinem Handeln gedeckt fühlte, wirkte sich mildernd auf das Strafmaß aus. Darüber hinaus forderte der Vorsitzende Richter eine Aufklärung des Falles durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Brandenburg.

Während S. aus der Untersuchungshaft entlassen wurde und im Zeugenschutzprogramm untertauchte, eröffnete die Cottbuser Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den VS-Mitarbeiter „Bartok“. Im Juli 2003 soll die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten 5000 Euro Geldstrafe einschließlich eines Schuldeingeständnisses vorgeschlagen haben. Ende 2004 beantragte sie beim Landgericht Cottbus die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit. Der VS-Mitarbeiter berief sich darauf, in seiner Ausbildung gelernt zu haben, dass V-Leute „szenetypische Straftaten“ verüben dürften. Im Februar 2005 folgte das Gericht dem Antrag.

Die Rolle des Verfassungsschutzes

Es gibt Neonazis auch ohne Verfassungsschutz. Mit Verfassungsschutz werden sie offenbar nicht weniger.

In Bezug auf die Musikproduktionen wurde zuweilen gefragt, wieviele V-Leute es braucht, um eine Neonazi-CD herzustellen. Es ist davon auszugehen, dass der brandenburgische Verfassungsschutz von Toni S. Informationen erhalten hat – soweit er sie gab. Gleichzeitig gestattete der Geheimdienst, dass CDs in tausender Stückzahlen in Umlauf gebracht wurden, die zum Übelsten an Hass- und Gewaltaufrufen gehören, was die Szene bietet.

Ähnlich muss die Rolle des Verfassungsschutzes hinsichtlich der lokalen Situation in Guben eingeschätzt werden. Nicht nur, dass mit S. ein V-Mann verpflichtet wurde, der über Jahre die Neonazi-Szene mit aufgebaut und gestaltet hat. Er fühlte sich durch die Tätigkeit für den Geheimdienst in seinem Tun bestätigt. Es ist nicht bekannt, in welchem Umfang S. über die Gubener Szene Bericht erstattete, aber man kann annehmen, dass der Verfassungsschutz von den lokalen Neonazis wusste. Es liegt auch auf der Hand, dass S.’s verstärkte Aktivitäten mit dem Ladengeschäft und seinen Angeboten stabilisierend und fördernd auf die lokale rechtsextreme Szene gewirkt haben. Und dies in einer Situation, als die Probleme in der Stadt längst offenkundig geworden waren.

Offene Fragen

Die fehlende Aufarbeitung des Falles Toni S. lässt eine Reihe von Fragen über seine Zusammenarbeit mit dem brandenburgischen Verfassungsschutz offen. Bereits 2002 äußerte zum Beispiel das Antifaschistische Infoblatt (AIB) Zweifel am Zeitpunkt der Anwerbung von S. Die Zeitschrift verwies auf widersprüchliche Daten und fand den genannten Grund seiner Mitarbeit – ein Verkehrsdelikt – nicht überzeugend, da S. bereits in den 1990ern in ähnlicher Weise aufgefallen sei. Auch aufgrund des „sehr laxen Verhaltens bei seinen strafrechtlich relevanten Aktivitäten“ hielt das AIB einen anderen Anwerbezeitpunkt nicht für ausgeschlossen.

Aus heutiger Perspektive müssen auch S.’s Kontakte in das Unterstützerumfeld des NSU hinterfragt werden. Aktuell liegt dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag eine Liste von 129 Rechtsextremen vor, die zum näheren und weiteren Umfeld der Terrorgruppe gehört haben sollen. Ein mutmaßlicher NSU-Helfer ist Jan W., mit dem Toni S. im Jahr 2000 an der Landser-CD „Ran an den Feind“ arbeitete. Der Chemnitzer soll den Aufenthaltsort von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gekannt haben, nachdem sie 1998 untergetaucht waren. Er soll sich um Unterstützung für das Trio in Form von Geld und Waffen bemüht haben. Es wird vermutet, dass Chemnitzer Neonazis den NSU bis mindestens 2003 gedeckt haben.

Was sagt der persönliche Kontakt von W. und S.? Sie haben zusammen konspirativ Straftaten geplant und begangen. Dabei waren erhebliche Geldsummen im Spiel, das heißt es ging auch um wirtschaftliche Existenzen. Dieses gegenseitige Wissen und die Abhängigkeiten lassen auf ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen zwei wichtigen Szeneakteuren schließen. Es stellt sich die Frage, wie weit diese Beziehung ging. Welches Wissen teilten die beiden noch? Wusste S. auch vom NSU und seinen Helfern?

2000 war S. wie beschrieben V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Dieser will nach eigenen Angaben bereits im Herbst 1998 durch seinen V-Mann Carsten Sz. („Piato“) erfahren haben, dass W. auf der Suche nach Waffen für die untergetauchten Thüringer Neonazis war. Das wirft die Fragen auf, ob S. zwei Jahre später auch in dieser Hinsicht als Quelle zu W. abgeschöpft wurde und Informationen lieferte, und wenn nicht, warum es unterblieb. Im September 2000 beging der NSU seinen vermutlich ersten Mordanschlag.

Die Informationspolitik des brandenburgischen Verfassungsschutzes zu seinen V-Mann-Affären steht vielfach in Kritik. Zuletzt sprach der Bundestags-Untersuchungsausschuss zum NSU von einem „verheerenden Bild“ der Geheimdienstarbeit im Fall „Piato“. Eine Recherche des Neuen Deutschlands stellte darüber hinaus die Aussage in Frage, dass Szczepanski die einzige Brandenburger VS-Quelle im NSU-Umfeld gewesen sei.

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