RE:GUBEN » Dessau http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 Dessau, Dresden, Sulzbach – zwischen Erinnerung und Ignoranz http://www.re-guben.de/?p=265 http://www.re-guben.de/?p=265#comments Sat, 02 Mar 2013 08:39:57 +0000 http://www.re-guben.de/?p=265 Mindestens 182 Menschen wurden seit 1990 in Deutschland von Neonazis getötet. Der Umgang damit ist in den Städten, die es betrifft, sehr unterschiedlich. Er schwankt zwischen der Suche nach den geeigneten Formen der Erinnerung und Ignoranz. Dessau, Dresden und Sulzbach sind drei Orte, die genauso wie Guben von tödlicher rassistischer Gewalt betroffen sind.

Nicht an allen Orten, an denen Neonazis in Deutschland in den letzten 23 Jahren Menschen ermordeten, gibt es Initiativen oder Einzelpersonen die sich mit dem Ereignis auseinandersetzen. Das öffentliche Sprechen über Rassismus und Neonazismus ist in der Bundesrepublik immer nur dann erwünscht, wenn es nicht weh tut. Kommen die deutschen Zustände zu dicht an die eigene Haustür, dann ist die Reaktion oft abwehrend, herunterspielend oder leugnend. Spätestens nach dem Urteilsspruch gegen die Täter_innen ist man bemüht, wieder „Ruhe“ in den Ort zu bringen und davon zu reden, dass sich seit der Tat vieles verändert habe und die damalige Situation mit heute nicht vergleichbar sei.

Es geht auch anders. Während es in Guben nur noch eine Handvoll Menschen gibt, die die Erinnerung an Farid Guendoul und eine Auseinandersetzung mit seinem Tod am Leben erhalten wollen, gibt es bespielsweise in Dessau (Sachsen-Anhalt) eine ganze Reihe von Initiativen, Vereinen und Einzelpersonen, die sich unterschiedliche Zugänge zur Erinnerung an den tödlichen Angriff auf Alberto Adriano erarbeitet haben.

Der aus Mosambik stammende Adriano wurde in der Nacht vom 10. auf den 11. Juni 2000 von drei Neonazis getötet. Sie überfielen den Familienvater nachts im Dessauer Stadtpark, beschimpften ihn als „Negerschwein“, schlugen und traten auf ihn ein. Sein Tod löste über die deutschen Landesgrenzen hinaus Bestürzung und Wut aus. Er fiel in eine Zeit, in der die Bundesrepublik mit einer neuen Welle rassistischer, antisemitischer und anderer rechtsmotivierter Gewalt konfrontiert wurde. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder rief nach weiteren Vorfällen im Sommer 2000 den sogenannten Aufstand der Anständigen aus. Ein neues Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus wurde ins Leben gerufen.

In den ersten Monaten und Jahren nach dem Tod Alberto Adrianos gingen die Impulse für eine aktive Erinnerung an ihn hauptsächlich von antifaschistischen und anderen linken Gruppen sowie dem damaligen Multikulturellen Zentrum der Stadt aus. Inzwischen wird die Erinnerung an Adriano und seinen Tod von einer breiten gesellschaftlichen Basis getragen, die bis in konservative Kreise der Stadt hinein reicht. Eine zentrale Botschaft ist dabei: „Aberto Adriano war ein Dessauer.“ Die Formen der Auseinandersetzung mit seinem Tod reichen von Demonstrationen und Kundgebungen, über Ausstellungen, Lesungen, Vorträge und Fachtagungen, bis hin zu Benefizkonzerten für die Familie Adrianos und Kunstinstallationen. In Zusammenhang mit dem Gedenken an Alberto Adriano gab es in Dessau auch heftige politische Auseinandersetzungen. Beispiele dafür sind der Streit um eine Gedenkstele oder um eine Holzskulptur des Bildhauers und Künstlers Stephen Lawson für den Dessauer Stadtpark, die von Initiativen gewünscht und vom Stadtrat blockiert wurde. Kritik wird von einzelnen Gruppen auch an der Beteiligung politischer Parteien am Gedenken geübt, die in ihren Programmen oder Handlungen eine diskriminierende Asylpolitik mittragen.

Dessau, Stele in Gedenken an Alberto Adriano am Tag der Erinnerung 2011

Dessau, Stele in Gedenken an Alberto Adriano am Tag der Erinnerung 2011

Eine Konstante in allen Bemühungen um eine Erinnerung an Alberto Adriano und seinen Tod bildet der 10. Juni, der in Dessau als „Tag der Erinnerung“ etabliert werden konnte. Jährlich versammeln sich dazu in Dessau zwischen 60 und 120 Menschen, die gemeinsam eine Gedenkveranstaltung durchführen.

Die Aktivitäten in Dessau konnten in den letzten Jahren an aktuelle Diskurse zu Neonazi-Gewalt und unterschiedlichen Formen des Rassismus anknüpfen. Sie boten einen Ausgangspunkt zur thematischen Beschäftigung mit der bundesdeutschen „Leitkultur- und Patriotismusdebatte“. Andere Überfälle von Neonazis auf Menschen in der Region werden in Zusammenhang mit der Erinnerung an Alberto Adriano genauso thematisiert wie Alltagsrassismus und fehlende kommunale Konzepte zum Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft. Seit 2005 war immer wieder auch der Tod von Oury Jalloh Thema auf den Gedenkveranstaltungen für Alberto Adriano. Oury Jalloh verbrannte gefesselt in einer Dessauer Gefängniszelle. Ein Dienstgruppenleiter des Polizeireviers, in welchem er starb, wurde wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen. Die Umstände des Todes von Oury Jalloh sind bis heute nicht abschießend geklärt. Die Initiative „Break the Silence“ setzt sich für eine weiterführende Aufklärung des Falles ein.

Diskussionen um den Umgang mit rassistischen Morden gibt es auch in Dresden. Am 1. Juli 2009 wurde die Ägypterin Marwa El-Sherbini während einer Verhandlung am Dresdner Landgericht von einem Rassisten vor den Augen ihrer Familie mit 18 Messerstichen getötet. Der Freistaat Sachsen und die Stadt Dresden verleihen in Gedenken an sie seit 2012 ein Marwa El-Sherbini-Stipendium „für Weltoffenheit und Toleranz“ von monatlich 750 Euro. Daneben gab es in Dresden im Sommer 2012 Dissenz in Zusammenhang mit der Erinnerung an den Mord. Die Stadtratsfraktionen von Bündnis90/Grüne, SPD und Linkspartei bemühten sich um die Umbenennung eines Platzes oder einer Straße im Gedenken an Marwa El-Sherbini. Mit Hilfe der Stimmen der NPD wurden der Antrag durch die CDU im Dresdner Stadtrat abgelehnt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU meinte, dass es das Ziel sei, „Dresden mit einem Netz der Schande zu überziehen“. Dies habe mit Jorge Gomondai begonnen und sich mit Marwa El-Sherbini fortgesetzt. Gomondai wurde bereits im April 1991 von rechten Skinheads in Dresden getötet. In den ersten Jahren nach seinem Tod waren es ausschließlich Antifa-Gruppen und migrantische Selbstvertretungen, die an seinen Tod erinnerten. Sie installierten einen Gedenkstein und führten jährlich Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen durch.

Dresden, Demonstration gegen Rassismus am Todestag von Jorge Gomondai im Jahr 2006

Dresden, Demonstration gegen Rassismus am Todestag von Jorge Gomondai im Jahr 2006

Seit der Jahrtausendwende schlossen sich der Dresdner Sportclub DSC mit einem jährlich stattfindenen Fußballturnier, dem „Gomondai-Cup“, sowie Kirchen-und Menschenrechtsgruppen den Gedenkveranstaltungen an. Im Jahr 2006, 15 Jahre nach seinem Tod, wurde der Platz, auf welchem Gomondai getötet wurde, in Jorge Gomondai-Platz umbenannt. Im Beisein der Mutter und eines Bruders sowie des mosambikanischen Botschafters wurde der Gomondai-Platz von der Stadtspitze eingeweiht.

Davon ist man im saarländischen Sulzbach/Saar sehr weit entfernt. Die Kleinstadt ist mehr als 800 km von Guben entfernt, aber kann dennoch einige Gemeinsamkeiten mit der Neißestadt vorweisen. Im August 2002 wurde auf dem dortigen Salzbrunnenfest der 19-jährige Ahmet Sarlak von einem organisierten Neonazi getötet. Ahmet Sarlak soll einem rechten Festbesucher eine Zigarettenkippe gegen den Kopf geschnipst haben. Anschließend wurde er vom stadtbekannten Neonazi Carlos N. angegriffen und mit einem Messer fünfmal in Bauch und Brust gestochen. Bei seiner Verhaftung soll Carlos N. einen Polizisten mit einer Pistole bedroht haben. In seiner Wohnung wurden umfangreiches Propagandamaterial, rechte Musik, Waffen und eine Hakenkreuzfahne gefunden. Verurteilt wurde N, lediglich wegen Totschlags und war nach sechs Jahren wieder auf freiem Fuß. Ein rassistisches Tatmotiv wurde im Urteilsspruch nicht berücksichtigt. Bei der Urteilsverkündung kam es im Gerichtssaal zu Tumulten. Die Angehörigen und Freunde von Ahmet Sarlak sowie Antifaschist_innen, die gegen das Urteil protestierten, wurden von der Polizei aus dem Saal gedrängt. Die türkischen Gemeinden der Region zeigten sich empört.

Das Sulzbachtal ist nach Informationen von regionalen Antifaschist_innen seit mittlerweile über zehn Jahren eine Schwerpunktregion des organisierten Neonazismus in Westdeutschland. Sara Jost, Pressesprecherin der Antifa Saar/Projekt AK, berichtet, dass seit 2006 eine kameradschaftsähnliche Struktur unter dem Namen „Widerstand Sulzbachtal“ an die Öffentlichkeit tritt. Sie gehört zu einer Vernetzung um den Saarlouiser Neonazis Domenik K. Bei den Jubelfeiern zur Fußballweltmeisterschaft sollen bei Autokorsos in Sulzbach in der Vergangenheit auch Reichskriegsflaggen gezeigt worden sein. Dass die NPD einen ihrer wichtigsten Landesparteitage im Jahr 2009 ausgerechnet in Sulzbach abhielt, scheint kein Zufall zu sein. Laut Sara Jost sind Neonazis im Straßenbild und in Kneipen in Sulzbach sichtbar. Vor dem Stuttgarter Landgericht ist derzeit der Sulzbacher Patrick M. angeklagt, der aus der Sulzbacher Kameradschaftsszene stammt. Er soll gemeinsam mit 12 anderen Neonazis im baden-württembergischen Winterbach eine Gartenlaube angezündet haben, in der sich Menschen aufgehalten hatten, die sich vor den Rechten versteckt hielten.

Die politischen Verantwortungsträger der Stadt erscheinen ignorant. Auf eine Anfrage von RE:GUBEN antwortete der Pressesprecher der Stadt Sulzbach, Elmar Müller: „Es gibt in Sulzbach keine rechtsextremen Strukturen.“ Auf die Frage, wie die Formen der Erinnerung an den Tod von Ahmet Sarlak aussehen, hieß es: „Es gab in den letzten Jahren von Seiten der Stadt keine Formen der Erinnerung.“ Die Frage nach einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Rassismus und organisierten Neonazis wurde mit der Antwort quittiert, dass man von Seiten der Stadt keine Kenntnis über Initiativen oder Einzelpersonen habe, die sich in der Region mit der Thematik befassen.

 

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