RE:GUBEN » Gastbeitrag http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 Patinnen und Paten gesucht: „Würdiges Gedenken für alle Todesopfer rechter Gewalt“ http://www.re-guben.de/?p=384 http://www.re-guben.de/?p=384#comments Fri, 05 Apr 2013 18:51:15 +0000 http://www.re-guben.de/?p=384 Mindestens dreizehn Menschen starben in Sachsen-Anhalt seit 1990 infolge politisch rechts motivierter Gewalttaten: junge Punks, Arbeitsmigranten, Wohnungslose, sozial Randständige, vermeintliche „politische Gegner“ und Menschen mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen. Doch lediglich sieben der Getöteten werden in den offiziellen Statistiken als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Das öffentliche Gedenken beschränkt sich bislang auf einige wenige Orte. Mit der Kampagne „Würdiges Gedenken für alle Todesopfer rechter Gewalt“ will sich die Mobile Opferberatung für ein öffentliches und nachhaltiges Gedenken in Sachsen-Anhalt einsetzen. Damit sollen auch den oftmals längst vergessenen Opfern Namen, Gesichter und Geschichten zurückgegeben werden.

Gleichzeitig wollen wir deutlich machen, dass es jenseits des Terrors des Nationalsozialistischen Untergrunds eine tödliche Dimension rechter Gewalt gibt, deren Opfer und ihre Angehörigen Solidarität und Unterstützung benötigen. Denn noch immer mangelt es vielerorts an Aufmerksamkeit für die ganz alltägliche rechte Gewalt, die das Leben vieler Menschen in Sachsen-Anhalt beeinträchtigt. Viele Tatorte der tödlichen rechten Gewalt sind auch heute noch Schwerpunkte rechter und rassistischer Angriffe. Zudem wollen wir mit der Kampagne die oft vergessenen und gesellschaftlich besonders stigmatisierten Betroffenengruppen in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung rücken: Wohnungslose und sozial Randständige sowie Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

Auftakt der Kampagne 2013

In der ersten Phase der Kampagne entsteht eine interaktive Website, die im Frühsommer vorgestellt werden soll. Sie wird Fotos und biografische Informationen zu den Getöteten sowie Erinnerungen von Angehörigen und Freund_innen sowie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Tötungsdelikten, Beiträge aus unterschiedlichen Medien, wie beispielsweise Radio und Fernsehdokumentationen, beinhalten. Aktuelle Fotos von den Tatorten – die bis auf wenige Ausnahmen heute als solche nicht gekennzeichnet sind – sollen diese für alle sicht- und auffindbar machen.

Spätestens im Jahr 2014 wollen wir dann in die zweite Phase treten: In Zusammenarbeit mit lokalen Kooperationspartner_innen – und wenn möglich mit Angehörigen und Freund_innen der Getöteten – sollen in den Kommunen sichtbare Orte der Erinnerung im öffentlichen Raum geschaffen werden. Vorstellbar sind dabei die jeweiligen ehemaligen Tatorte, aber auch andere Plätze. Wichtig ist uns, dass diese Orte für alle zugänglich sind. Neben der Installation von Skulpturen, Stelen, Gedenktafeln oder -steinen sollen auch mit den Getöteten in Verbindung stehende Geschichten, beispielsweise Interviews mit Angehörigen, Anwält_innen oder Freund_innen als Audiobeiträge Bestandteil des Gedenkens sein.

Bitte um konkrete Unterstützung

Für den Erfolg der Kampagne benötigen wir Ihre und Eure Unterstützung. Die interaktive Website ist zugleich eine Einladung, sich an der inhaltlichen Ausgestaltung zu beteiligen: durch die Vermittlung von Kontakten zu ehemaligen Freund_innen oder Bekannten der Opfer, durch eigene Recherchen zu den Tatumständen oder den Biografien der Getöteten, durch Interviews mit Angehörigen, Anwält_innen, Freund_innen der Opfer, durch die Übersendung von Zeitungsartikeln und Fotos oder durch Beiträge von Künstler_innen zur Gestaltung der Orte der Erinnerung. Damit wollen wir explizit vielen Beteiligten die Möglichkeit bieten, ihre Form des Erinnerns und ihre Auseinandersetzung mit dem Thema öffentlich darzustellen.

Um ein langfristiges Gedenken vor Ort zu ermöglichen, suchen wir lokale Pat_innen: Einzelpersonen, Schulklassen, Antifagruppen, Gewerkschafter_innen, Sozialverbände, Kirchengruppen und andere, die sich für eine Erinnerung engagieren, indem sie beispielsweise eigene Recherchen anstellen, gemeinsam mit uns eine Veranstaltung vor Ort durchführen oder an den Todestagen Gedenkveranstaltungen organisieren wollen.

Wir streben zudem eine Zusammenarbeit mit landesweit tätigen Einrichtungen wie Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, migrantischen Selbstorganisationen oder überregionalen Bündnissen an, um die Kampagne und ihre Ziele bekannt und gleichzeitig auf die Unterschiedlichkeit der Todesopfer rechter Gewalt aufmerksam zu machen.

Wir sind sehr gespannt auf Ihre und Eure Beiträge. Telefonisch sind wir in unseren Anlaufstellen in Halle, Magdeburg und Salzwedel erreichbar, per Email unter wuerdiges-gedenken@mobile-opferberatung.de. Gerne treffen wir uns zu persönlichen Gesprächen vor Ort.

Im Netz: Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt Sachsen-Anhalt

Mehr zum Thema Gedenken an die Opfer →

]]>
http://www.re-guben.de/?feed=rss2&p=384 0
„Wir haben unsere Verantwortung angenommen“ http://www.re-guben.de/?p=291 http://www.re-guben.de/?p=291#comments Thu, 21 Mar 2013 17:06:03 +0000 http://www.re-guben.de/?p=291 Eberswalde, Erinnerung an die Ermordung Amadeu Antonios, 6.12.2012

Eberswalde, Erinnerung an die Ermordung Amadeu Antonios, 6.12.2012

Es war ein langer Weg für Eberswalde ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio zu finden. 22 Jahre nach dessen Tod ist es der Stadt schließlich gelungen auch die gesellschaftliche Verantwortung für die Folgen dieser rassistischen Tat zu übernehmen. Seit der ersten Stunde unterstützte die Amadeu Antonio Stiftung das Bemühen um eine würdige Erinnerungskultur vor Ort.

Es war ein Mord, der Eberswalde bis heute prägt: Amadeu Antonio trifft in der Nacht zum 25. November 1990, nach einem Besuch mit Freunden im Lokal „Hüttengasthof“ in Eberswalde, auf circa 50 Neonazis. Eine Hetzjagd auf Amadeu Antonio und seine Freunde beginnt. Mit Zaunlatten und Baseballschlägern schlägt die Horde Nazis brutal auf sie ein. Bei dem Versuch zu fliehen, teilt sich die Gruppe um Amadeu Antonio. Seine Freunde können entkommen. Er selbst jedoch nicht. Der angolanische Vertragsarbeiter wird von rund zehn Neonazis weiter verfolgt, brutal geschlagen und ins Koma getreten. Elf Tage später, ohne je das Bewusstsein wiederzuerlangen, stirbt Amadeu Antonio an den Folgen der schweren Misshandlungen.

22 Jahre später. Es ist der 6. Dezember 2012: Die Straßen von Eberswalde sind mit Schnee bedeckt. Nicht mehr viel erinnert an jene furchtbare Tat von damals. Eine Tafel wurde in Gedenken an Amadeu Antonio in Tatortnähe angebracht. Wie jedes Jahr gedenken seine Freunde sowie Bürgerinnen und Bürger von Eberswalde an diesem Tag an die Ermordung des angolanischen Vertragsarbeiters. Sie legen vor der Gedenktafel Blumen und Kränze nieder und verharren in einer Schweigeminute. Und dennoch ist etwas anders an dieser Gedenkveranstaltung; neben der Tafel findet sich nämlich auch ein Straßenschild mit der Aufschrift ‚Amadeu-Antonio-Straße’. Mit dem Straßenschild soll dem Anliegen des Afrikanischen Kulturvereins Palanca e.V., der Barnimer Kampagne ‚Light me Amadeu’ und des Jugendbündnises F.E.T.E. besonders an diesem Tag noch einmal Ausdruck verliehen werden: Eine dauerhafte Kennzeichnung von Stadtraum für Amadeu Antonio in Eberswalde.

Eine kontroverse Debatte um ein würdiges Gedenken

Die am 16. Todestag von engagierten Jugendlichen ins Leben gerufene Barnimer Kampagne ‚Light me Amadeu’ fordert seit Jahren eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Mord an dem Angolaner. Ein zentrales Bemühen stellt dabei ein Teilstück der Eberswalder Straße zwischen Heegermühler Straße und Kopernikusring, den Tatort, nach Amadeu Antonio zu benennen. Im August 2011 gab es, anlässlich Amadeu Antonios 49. Geburtstags, lediglich eine kurzzeitige symbolische Straßenumbenennung, da eine dauerhafte Umbenennung stets am Widerstand nicht weniger Eberswalder Bürgerinnen und Bürger scheiterte. Als dann auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im September 2011 den Vorschlag für eine Amadeu-Antonio-Straße in den Kulturausschuss und die Stadtverordnetenversammlung einbrachte, glaubten sich die Befürworter ihrem lang gehegten Anliegen einen Schritt näher. Für kurze Zeit hatte es den Anschein, dass Amadeu Antonios 50. Geburtstag als Anlass genommen werden würde, das Teilstück der Eberswalder Straße nach ihm zu benennen. Was folgte war jedoch der Beginn einer Auseinandersetzung, die schließlich die ganze Stadt ergreifen sollte.

Monatelang wurde eine kontroverse Debatte um eine würdige Form des Gedenkens an Amadeu Antonio geführt, in der nicht selten offen rassistische Stereotypen geäußert wurden. Denn was für die einen ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz bedeutete, war für eine Gegeninitiative vor allem ein Eingriff in das Stadtbild ‚ihres’ Eberswaldes. Die Gegner der Straßenumbenennung formierten sich unter dem Namen ‚Das fünfte Gebot’. Der Titel der Initiative bezieht sich auf das biblische Tötungsverbot, auch Stadtverordnete und Kirchenvertreter gehören zu der Gruppierung. Stets argumentierten sie, dass mit einem würdigen Gedenken an Amadeu Antonio andere Gewaltopfer aus dem Blickfeld geraten würden. Zudem führten sie die hohen Kosten, die mit einer Straßenumbenennung verbunden seien, an und scheuten auch nicht davor zurück, Verleumdungen über den ermordeten Vertragsarbeiter in Umlauf zu bringen: Die Initiatorin der Gegenbewegung erklärte in einem offenen Brief, dass die angolanischen Vertragsarbeiter in den 1990er Jahren laut Gerüchten häufig gewalttätig oder sexuell übergriffig gewesen wären. Ihre haltlosen Aussagen dienten dem Zweck, die Frage aufzuwerfen, ob Amadeu Antonio für eine Straßenumbenennung überhaupt würdig sei.

Am 12. August 2012, es wäre Amadeu Antonios 50. Geburtstag gewesen, kam es infolge der Unvereinbarkeit zwischen Befürwortern und Gegnern, wie im Vorjahr, nur zu einer symbolischen Straßenumbenennung.

Das Ringen um die Ausarbeitung eines Erinnerungskonzepts

Mehr und mehr kristallisierte sich heraus, dass sich die beiden gegensätzlichen Positionen unvereinbar gegenüberstanden. In letzter Konsequenz entschied sich die Stadt im September 2012 deshalb dazu, zwei Workshops zu veranstalten, um in diesen den Versuch zu unternehmen, die kontroversen Punkte in der Debatte zu klären. Ziel der Workshops war es anhand deren Ergebnisse Ausgangspunkte für die Erarbeitung eines Erinnerungskonzept zu erhalten. Bei den Arbeitskreisen wurden zwar die Kontroversen in der Debatte noch einmal besonders deutlich, den politischen Verantwortlichen der Stadt wurde jedoch zeitgleich vor Augen geführt, dass es viele Eberswalderinnen und Eberswalder gibt, die ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio in ihrer Stadt wünschen und ausdrücklich fordern.

Und tatsächlich, durch die Workshops gelang es, wesentliche Aspekte für ein Erinnerungskonzept herauszuarbeiten. Noch vor der Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung begrüßte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, das Konzept: „Mit der Vorlage eines Erinnerungskonzepts ist die Stadt einen entscheidenden Schritt in der Diskussion um ein würdiges Gedenken an Amadeu Antonio vorangekommen. Das erarbeitete Konzept zeigt, dass sich die Stadt dem Druck von Seiten einer Gegeninitiative mit den Namen ‚Das fünfte Gebot’ nicht gebeugt hat, die oftmals durch rassistische Aussagen auf sich aufmerksam machte.“ Denn nicht zuletzt vor dem Hintergrund der grausamen Mordserie des NSU stünden die politischen Verantwortlichen in der Pflicht, Todesopfer rechter Gewalt im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. So betonte Timo Reinfrank, dass der jahrelang fehlenden Sensibilität den Opfern gegenüber endlich ein aktives Gedenken entgegengesetzt werden müsse. Und auch der Eberswalder Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP) fand vor der Abstimmung deutliche Worte an die Stadtverordneten und Bürger: „Eberswalde hat eine große Verantwortung. Heute entscheiden wir, ob wir sie wahrnehmen oder zerreden.“

Die Amadeu-Antonio-Straße ist überall!

Am 22. November 2012 wurde das Erinnerungskonzept von den Stadtverordneten in Eberswalde mit deutlicher Mehrheit angenommen. „Ich bin froh, dass die Demokraten in unserer Stadt sich darauf verständigen konnten“, erklärte Friedhelm Boginski nach der Abstimmung. „Wir haben unsere Verantwortung angenommen und damit ein klares Zeichen gegen rechte Gewalt gesetzt.“ Das Konzept sieht vor, dass dem im Bau befindlichen Bürgerbildungszentrum bei seiner für Ende 2013 geplanten Einweihung der Name ‚Amadeu-Antonio-Haus’ verliehen wird. Zudem will die Stadt einen mit 1.000 Euro dotierten ‚Amadeu-Antonio-Preis’ ausschreiben, der zum ersten Mal 2014 an antirassistische Initiativen verliehen werden soll. Dazu soll die Gedenktafel neu gestaltet werden. Die städtischen Schulen werden außerdem mit Projektmaterial zum Thema ausgestattet, während Kinder und Jugendliche mit einer Graphic Novel über Amadeu Antonio angesprochen werden sollen.

Mit diesem Konzept ist es der Stadt Eberswalde nach langem Ringen gelungen eine würdige Form des Gedenkens an Amadeu Antonio zu finden. Und dennoch bleibt ein zentrales Anliegen unerreicht: Die Straßenumbenennung findet sich im Gedenkkonzept nicht wieder. Der authentische Ort, der Tatort, sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten. Hier ist die Tat geschehen. Die Initiative für eine Straßenumbenennung fußte vor allem auch darauf, dass seine Freunde und Angehörigen den Vorschlag für eine ‚Amadeu-Antonio-Straße’ mit einbrachten. Dieses Anliegen kam somit von Menschen, die bis heute von Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit betroffen sind. Gerade deshalb setzen sich die Befürworter auch weiterhin für eine Straßenumbenennung ein und intensivieren die Kampagne ‚Die Amadeu-Antonio-Straße ist überall!’. Dahinter steht die Motivation den Blickwinkel auf das Geschehene zu wechseln und die Betroffenenperspektive näher in den Fokus zu rücken. „Die Straßenumbenennung betrachten wir als ein wichtiges Signal der Stadt Eberswalde, als eine würdigende Geste auch für das Leid der Familie, aller Angehörigen und Freunde von Amadeu Antonio, außerdem als ein deutliches Bekenntnis gegen den alltäglichen Rassismus und damit gegen Anknüpfungspunkte von Nazis und Rechtspopulisten. Darum weisen wir nun mit Straßenschildern, T-Shirts, Aufklebern usw. darauf hin: Wenn sie – noch – nicht dort ist, wo sie hingehört, zeigen wir, dass die Amadeu-Antonio-Straße überall ist bzw. überall da sein kann, wo sich Menschen gegen Rassismus engagieren“, so ‚Light me Amadeu’ über ihre Motivation.

Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt diesen wesentlichen Aspekt nicht aus den Augen verliert und vielleicht zukünftig auch einen Weg findet, dieses Anliegen nicht unberücksichtigt zu lassen. Denn ein Bildungszentrum kann geschlossen werden, weil die Stadt die Kosten nicht mehr tragen kann. Aber eine Straße? Eine Straße, die bleibt und holt fast Vergessenes ins Bewusstsein zurück und fordert von jedem Menschen, der an ihr vorbeikommt eine tagtägliche Auseinandersetzung mit den furchtbaren Folgen von Rassismus. Die Amadeu Antonio Straße ist überall!

 

Anna Brausam ist Mitarbeiterin der Amadeu Antonio Stiftung und betreut den Opferfonds CURA – für Betroffene rechter Gewalt.

Mehr zum Thema Gedenken an die Opfer →

]]>
http://www.re-guben.de/?feed=rss2&p=291 0