Frank
Jansen

Journalist

Frank Jansen

Journalist

Frank Jansen ist einer der profiliertesten Journalisten zum Thema Rechtsextremismus und berichtete für den Tagesspiegel kontinuierlich vom Prozess und über die Situation in Guben.

Kannst Du Dich daran erinnern, wie Du von dem Tod Farid Guendouls erfahren hast?

Ja, daran erinnere ich mich. Die Tat passierte an dem Tag, an dem ich in den Urlaub gefahren bin. Ich konnte selbst also erst einmal nichts machen, hatte aber mitbekommen, dass da etwas Schreckliches passiert ist und die grauenhaften Bilder von dem blutverschmierten Hauseingang gesehen. Dann war ich für zwei oder drei Wochen weg. Danach befasste ich mich ziemlich schnell wieder mit dem Fall. Von der Dimension her ging die Tat zwar nicht über das hinaus, was ich sonst in Brandenburg erlebt hatte, aber ein Angriff aus einer großen Gruppe von 11 jungen Männern heraus, die auch alle angeklagt wurden, die Schwierigkeiten für die Justiz, die Tat entsprechend einzuordnen und so weiter, all dies deutete darauf hin, dass es in der Summe ein exemplarischer Fall ist und deshalb hatte ich mich entschlossen, ihn intensiv zu begleiten. Unter anderem bin ich ja auch jeden Tag zum Prozess gefahren. Manchmal nur für 10 Minuten, wenn es wieder einen Befangenheitsantrag gab, nach dem nicht weiter verhandelt wurde.

Es gab von Anfang an und durch das gesamte Gerichtsverfahren ein großes und kontinuierliches mediales Interesse. Kannst Du Dir erklären, warum?

Es waren die schockierenden Bilder von diesem blutverschmierten Treppenhaus, es war dieses grausige Schicksal dieses Algeriers, der in seiner Panik in diese Tür gesprungen ist. Für mich war es ein herausragender Fall, aber einer in einer ganzen Serie von Fällen. Ich berichtete damals nahezu ausschließlich über Rechtsextremismus mit dem Schwerpunkt Brandenburg und Berlin. Da hatte ich so viele Fälle, die schrecklich waren, darunter eine ganze Reihe, bei denen die Täter die Opfer zu Tode traten oder prügelten, sie erstachen oder ertränkten. Insofern war das, was das Verbrechen an sich anging, nichts, das noch schlimmer gewesen wäre als andere. Aber diese ganze Konstellation aus der großen Gruppe der Täter, wie sich diese Hetzjagd selbst abspielte, die Bilder und dann noch der Prozess: Das machte es zu einer besonderen Geschichte. Ich bin aber in den 1990er Jahren Tag für Tag zu Prozessen gefahren, bei denen es um vergleichbar schreckliche Taten ging und bei denen ich manchmal der einzige Journalist war, der da saß. Das hat sonst keinen interessiert und das konnte ich nicht nachvollziehen.

Eine Rolle für die Aufmerksamkeit spielte sicher die Situation vor Ort. Ich machte auch Reportagen aus Guben, aus diesem Plattenbauviertel in Obersprucke. Und das war einfach gruselig: Da wurde ich von jungen Neonazis, die mit Fahrrädern unterwegs waren, ständig überwacht. Von den Leuten, mit denen ich redete, hatten die meisten - wie bei anderen Gewalttaten auch - kein Mitleid mit dem Opfer. Dann fragte der damalige Spremberger Bürgermeister Egon Wochatz noch danach, was Farid Guendoul nachts auf der Straße zu suchen gehabt hätte. Die Freundin von Farid Guendoul fühlte sich einsam und verlassen. Dann war da dieser Gedenkstein, auf den immer wieder gepinkelt wurde oder auf dem Bierflaschen zerschmissen wurden. Dann gab es diese wenigen Menschen, die sich trauten, abwechselnd den Gedenkstein zu pflegen. Ich begleitete einmal zwei dieser Frauen und ich merkte, welche Angst sie hatten, dahin zu gehen.

Und woran erinnerst Du Dich bei dem Gerichtsverfahren?

Der Prozess war von Anfang an schwierig, weil die Zahl der Angeklagten mit elf ja sehr hoch war. Das ist, glaube ich, für jede Strafkammer schwer zu beherrschen. Von den zahlreichen Verteidigern war ein Teil von vornherein auf Krawall fixiert, also auf einem Konfrontationskurs. So gab es ja unzählige Befangenheitsanträge zum Beispiel gegen die Kammer. Mein Eindruck war, dass ein Teil der Verteidiger versuchte, den Prozess kaputt zu machen. Das hat dazu beigetragen, dass der Mangel an Unrechtsbewusstsein bei den Angeklagten nicht nur nicht behoben, sondern zementiert wurde. Es mangelte ihnen ja sowieso einfach an Respekt vor dem Gericht und damit vor Recht und Gesetz: Einige kamen zu spät und wurden von der Strafkammer dafür nicht sanktioniert. Das war etwas, was ich nicht verstand. Denn da hätte man ihnen ein Ordnungsgeld auferlegen können. Man merkte also einfach sehr schnell, dass die Angeklagten den Prozess nicht ernst nahmen. Und einige von ihnen wurden darin von ihren Anwälten bestärkt. Es waren nicht alle Verteidiger so, aber ein Kern von ihnen. Damit sind die meisten Angeklagten aus dem Prozess wieder rausgegangen, als hätten sie da nur überflüssige Zeit abgesessen. Da bis auf Alexander Bode keiner eine Haftstrafe nur für diese Tatnacht bekommen hat, hatten die Angeklagten meiner Meinung nach nicht das Gefühl, irgend etwas falsch gemacht zu haben.

Darüber hinaus ist mir natürlich in Erinnerung, wie diese Krawallverteidiger versuchten, das Opfer schlecht zu reden, ihm auf eine perfide Art und Weise eine Mitschuld zu geben. Aber die Hetzjagd ist ja nur entstanden, weil ein junger rechter Mob, der sich mit Musik aufgepeitscht hatte, einfach Ausländer jagen wollte. Und nichts anderes.

Bemerkenswert war an dem Prozess aber auch, wie die Nebenklageanwältinnen gekämpft haben, also beispielsweise Christina Clemm. Das hat mir imponiert, wie sie dem ständigen Hass und diesen Angriffen von den Verteidigern standgehalten haben. Die Staatsanwaltschaft hat man dagegen nicht wahrgenommen, ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wer die Anklage vertreten hat.

Ja, das womit sie mir in Erinnerung geblieben ist, war die Aussage des leitenden Staatsanwaltes Oehme bereits im Vorfeld des Verfahrens, dass es keinen rechten Hintergrund gäbe.

Ja, daran erinnere ich mich. Als ich ihn darauf ansprach, reagierte er ziemlich unwirsch. Diese Behauptung, dass es keinen rechten Hintergrund gäbe, obwohl die Umstände deutlich auf das Gegenteil hinwiesen, hat mich empört. Aber das habe ich öfters erlebt, dass sich Mitarbeiter in Polizei und Justiz nach dem Motto festlegten: Wir wissen nicht was es ist, aber rechts ist es nicht. Das war für die 1990er Jahre auch in Brandenburg typisch; Verdrängen und Weggucken, bei Behörden nur das Nötigste machen und wahrnehmen. Das hat sich glücklicherweise geändert. Aber damals passte das Verfahren in Cottbus da gut mit rein.

Hattest Du zu der Familie oder zu den beiden anderen Opfern Kontakt?

Die beiden Brüder aus Algerien traf ich bei einem ihrer Aufenthalte hier in Berlin. Das war natürlich ergreifend. Sie haben nicht verstanden, wie der Prozess ablief, und mussten mit ansehen, wie dreist die Täter auftraten. Es war schwierig, ihnen das zu erklären. Zudem habe ich durch das, was sie erzählt haben, verstanden, wie schwer der Schlag war, der die Familie getroffen hat. Der Verlust eines Familienmitgliedes an sich ist natürlich grauenhaft. Hinzu kam, dass die Familie ziemlich arm war, in Algerien eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht und sie selbst auf die sehr schmalen Geldüberweisungen von Farid Guendoul angewiesen waren.

Möchtest Du etwas zu dem Urteil sagen?

Rein gefühlsmäßig, also nicht juristisch argumentiert, würde ich sagen, dass es Mord gewesen ist. Juristisch ist das aber natürlich erheblich schwieriger: Es wurde festgestellt, dass dieser Mob die Verfolgung aufgegeben hatte, Farid Guendoul in seiner Panik aber weiter rannte und dann diese Glastür eintrat. Es ist jetzt leicht zu sagen, die Täter hätten härter bestraft werden müssen. Aber gerade im Jugendstrafrecht geht es nicht um exemplarische Abschreckung, sondern um den Gedanken der Resozialisierung. Ich hatte mit dem Urteil meine Schwierigkeiten, glaube aber, dass juristisch nicht viel mehr zu machen war. Die Strafen blieben gering im Vergleich dazu, dass immerhin ein Mensch tot und einer seiner Begleiter verletzt worden war. Daneben gab es die traumatisierende Erfahrung, vor einem rechten Mob fliehen zu müssen. Das ist das Urteil. Was mich daneben so erschreckt hat, ist diese Kälte, die mangelnde Empathie in Teilen der Bevölkerung. Wie ich schon sagte, hatte ich auch in Obersprucke recherchiert und da merkte man, dass die Leute kein Mitleid mit dem Toten hatten. Obwohl die Bilder dieses blutverschmierten Treppenhauses überall zu sehen waren. Diese mentale Verrohung, die Kälte in Teilen der Bevölkerung war da so deutlich zu erkennen. Aber auch das passte leider zu vielen anderen Fällen. Anfang der 2000er Jahre zog ich für mich ein bisschen Bilanz und stellte fest, dass in 95 Prozent aller Fälle, die ich recherchiert hatte, also gewaltsame Angriffe mit einem rechten Hintergrund, die ganz normalen Leute rings herum, also Passanten, Nachbarn et cetera kein Mitleid mit dem Opfer hatten.

Das deckt sich mit unserer Erfahrung aus der Arbeit in der Anlaufstelle: Wie unempathisch, wie unhilfsbereit das direkte Umfeld bei Angriffen reagiert hat. Dass die Leute nicht mal die Polizei oder einen Krankenwagen gerufen oder ein Taschentuch gereicht haben. Dass sie sich nicht einmischen, ist das eine, das kann man vielleicht verstehen. Aber dass sie anschließend nicht einmal Empathie mit dem Opfer zeigen.

Ja, das ist eine konstante Erfahrung für mich. Das hat mir Brandenburg sehr fremd gemacht. Ich komme aus dem Rheinland und Brandenburg war für mich von Anfang an Terra incognita. Aber das hat sich dann eher noch verstärkt. So paradox das klingt: Je mehr ich Brandenburg kennenlernte, desto fremder wurde es mir.

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