RE:GUBEN » Analyse http://www.re-guben.de fragt nach den Folgen des Todes Farid Guendouls, der am 13. Februar 1999 auf der Flucht vor einer Gruppe Neonazis in Guben starb. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie kann Gedenken gestaltet werden? Wie reagieren Politik und Gesellschaft? Fri, 02 May 2014 16:27:31 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.8 Wahlergebnisse der NPD in Guben http://www.re-guben.de/?p=677 http://www.re-guben.de/?p=677#comments Fri, 30 Aug 2013 12:45:39 +0000 http://www.re-guben.de/?p=677 Wer jetzt die Ergebnisse der Bundestagswahl erwartet, wird enttäuscht werden: Wir können nicht in die Zukunft sehen – hier heißt es: Vor der Wahl ist nach der Wahl. Es geht um die Frage, wie die NPD bei den letzten Wahlen, den Kommunalwahlen 2008, der Landtagswahl 2009 sowie der Bundestagswahl 2009, in Guben abgeschnitten hat. Bei den Kommunalwahlen erlangte die NPD zwei Mandate für den Kreistag Spree-Neiße und ein Mandat für die Gubener Stadtverordnetenversammlung (SVV).

Die prozentualen Ergebnisse waren:

  • Wahl zur SVV Guben 2008: 4,3%,
  • Wahl zum Kreistag Spree-Neiße 2008: 4,8%,
  • Wahl zum Landtag 2009: 4,1% nach Erststimmen, 4,0% nach Zweitstimmen,
  • Wahl zum Bundestag 2009: 4,7% nach Erststimmen, 4,2% nach Zweitstimmen.

Bei der Kreistagswahl erzielte die NPD damit in Guben ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis im Vergleich mit dem gesamten Landkreis (NPD 4,0%). Das Ergebnis der Landtagswahl lag in Guben deutlich über dem Landesdurchschnitt (NPD Zweitstimmen Brandenburg 2,6%, Spree-Neiße 3,6%), ebenso bei der Bundestagswahl. Die Wahlbeteiligung in Guben lag für die SVV-Wahl bei 50,3% und für die Kreistagswahl bei 42,9%.

Bei der Landstagswahl entschieden sich damit in Guben 340 (Erststimmen) bzw. 349 (Zweitstimmen) Wähler für die NPD, bei der Bundestagswahl waren es 402 (Erststimmen) bzw. 357 (Zweitstimmen). Für die Kommunalwahlen lässt sich das nicht mit Sicherheit bestimmen, da dort jede Person jeweils drei Stimmen hatte, die einem Kandidaten gegeben oder auf mehrere Kandidaten verteilt werden konnten. Bei der SVV-Wahl bedeuteten die 4,3% 1094 Stimmen, bei der Kreistagswahl resultierten die 4,8% aus 1050 Stimmen. Realistisch erscheint, dass die Zahl der NPD-Wähler bei den Kommunalwahlen ähnlich zur Landtags- und zur Bundestagswahl war und im Bereich von mindestens 350 bis etwa 400 lag. Zumindest für die SVV-Wahl ergibt sich rechnerisch, dass die NPD nicht in allen Fällen drei Stimmen ihrer Wähler erhalten hat.

Für die Wahl zur SVV liegen die Ergebnisse der einzelnen Gubener Wahllokale vor, so dass man feststellen kann, dass die NPD nicht in allen Stadtteilen gleichermaßen gewählt wurde. Es waren im Wesentlichen die Wohnkomplexe (WK) Obersprucke und Reichenbacher Berg, zusammen der bevölkerungsreichste und zugleich problembeladenste Stadtteil, in denen die NPD überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, in einem Wahllokal in der Obersprucke waren es 8,5%. Auch ein Wahllokal in der Altstadt verzeichnete einen überdurchschnittlichen Wert. Im WK I lagen die Ergebnisse meist unter der Durchschnittszahl der Stadt. Auffällig war, dass die NPD in den durchaus noch dörflich geprägten Ortsteilen Kaltenborn (1,5%) und Bresinchen (1,7%) schlecht abschnitt, ebenso bei der Briefwahl (2,2%).

Für einen regionalen Vergleich bieten sich zum Beispiel die NPD-Ergebnisse der Spree-Neiße-Kreistagswahl in den Städten Guben, Spremberg und Forst an. Ihre Einwohnerzahlen bewegen sich jeweils an der Grenze von Klein- und Mittelstadt. Zusammen lebt in ihnen die Hälfte der Wahlberechtigten im Landkreis Spree-Neiße. In Guben erzielte die NPD bei der Kreistagswahl wie schon dargestellt 4,8% (1050 Stimmen), in Spremberg waren es 4,5% (1220 Stimmen) und in Forst 3,4% (636 Stimmen). Relevant werden diese Zahlen in einem Vergleich der Städte. Ohne das hier umfangreich darzustellen, lässt sich doch festhalten, dass die Stadt Spremberg zum Beispiel mit ihren Energieindustrieansiedlungen wirtschaftlich besser aufgestellt ist als Guben, die NPD dort aber ein ähnliches Ergebnis erreichte. In Forst, in ähnlicher Weise wie Guben von Deindustrialisierung, Abwanderung und anderen Problemen betroffen, erhielt die NPD weniger Stimmen. Eine mögliche Erklärung – die zu untersuchen wäre – liegt in Aspekten der politischen Kultur in den Städten, welche politischen Traditionen eine Stadt hat, wie sie zum Beispiel Jugendarbeit gestaltet und letztlich wie sie mit der NPD und rechtsextremen Entwicklungen umgeht. Festzuhalten ist aber auch, dass sich in Forst mit einer Beteiligung an der Kreistagswahl von 36% deutlicher Zeichen einer generellen politischen Desintegration zeigten. (Der Vergleich der Wahlbeteiligungen in den Städten zeigt übrigens, dass nicht allgemein gelten kann, dass die NPD bei höherer Wahlbeteiligung schlechter abschneidet.)

Interessant ist zuletzt natürlich noch die Frage, in welchen sozialen Gruppen die NPD in Guben Anklang findet. Weil dazu für die Stadt keine statistischen Angaben vorliegen, kann es dazu keine genaue Antwort geben. Für die Landtagswahl 2009 existiert immerhin eine repräsentative Erhebung der NPD-Ergebnisse in Alters- und Geschlechtergruppen bezogen auf das gesamte Land Brandenburg (die Daten basieren auf einer Umfrage; daher die minimale Abweichung zum reellen Endergebnis).

LTW BB 2009

Auch für die Bundestagswahl 2009 gibt es eine solche Erhebung für Brandenburg mit nur minimal unterschiedlichen Prozentangaben, der gleichen Verteilung und derselben Grundaussage. Die Statistik sagt, dass die NPD bei Männern höhere Ergebisse erzielt als bei Frauen und dass die Partei in jüngeren Altersgruppen besser abschneidet – zusammengefasst: Die NPD kommt besonders bei jüngeren Männern an. Das könnte auch in Guben so zutreffen. Dieser Versuch, sich über die Brandenburg-Statistik an die Situation in der Stadt anzunähern, wirft allerdings weitere Fragen auf, zum einen weil das Wahlergebnis der NPD in Guben höher war als im Landesdurchschnitt, zum anderen weil auch die Sozialstruktur Gubens vom Landesdurchschnitt abweicht.

Legt man die statistische Verteilung in den Alters- und Geschlechtergruppen zugrunde und nimmt man an, dass die Ergebnisse in Guben in allen Gruppen gleichermaßen höher waren, kommt man zu dem Schluss, dass im Durchschnitt der Stadt deutlich über 10% der 18- bis 35-jährigen Männer NPD gewählt haben müssten. Zieht man dazu die detaillierten Ergebnisse der SVV-Wahl heran, gelangt man zu der Überlegung, dass – insbesondere in dieser Gruppe – die NPD in einzelnen Quartieren (bis zu 8,5% im Schnitt für alle Alter und Geschlechter) noch einmal höhere Zustimmung erhalten haben müsste.

Guben unterscheidet sich aber vom Land Brandenburg insgesamt darin, dass der Altersdurchschnitt der Einwohner, besonders in der Obersprucke, höher ist. Wo es weniger junge Leute gibt, ist rechnerisch betrachtet auch ihr Einfluss auf das Gesamtwahlergebnis geringer. Das heißt, dass die Proportionen der Brandenburg-Statistik zu Alters- und Geschlechtergruppen nicht einfach übertragbar sind und sich die Verteilung in den einzelnen Gruppe in Guben unterscheidet. Es liegt der Schluss nahe, dass es in Guben Alters- und Geschlechtergruppen gibt, in denen die NPD Ergebnisse erzielt, die deutlich nach oben vom Brandenburg-Durchschnitt abweichen.

Zusammengefasst lässt sich also, wenig überraschend, sagen: Die NPD wurde in Guben gewählt. Die Ergebnisse für die Partei bei den letzten Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen lagen in der Stadt zwischen 4% und knapp 5%. Die Zahlen waren ähnlich zu denen in einigen anderen Gemeinden, lagen aber auch leicht bis deutlich über regionalen und überregionalen Durchschnittswerten. Die höchsten Stimmanteile holte die NPD in Guben, etwas klischeehaft, in zwei Plattenbausiedlungen der 60er, 70er und 80er Jahre. Dass aber nicht nur soziale Problemlagen als Erklärung herangezogen werden sollten, sondern zum Beispiel auch Aspekte der politischen Kultur, macht der Vergleich mit anderen Städten in der Region deutlich. In absoluten Zahlen hat die NPD in Guben jeweils ca. 350 bis 400 Wähler mobilisieren können. Ob das viele oder wenige sind, liegt im Auge des Betrachters; in Guben waren es eben zwischen 4% und 5% der Wähler. Die gelegentliche Behauptung, dass es sich um ein paar „verirrte Jugendliche“ handelte, ist – auch angesichts der Zahl – eine realitätsferne Legende. Überhaupt sprechen einige Wahluntersuchungen dafür, dass die NPD generell weniger „Protestwähler“ anspricht, sondern über eine relativ feste Stammwählerschaft verfügt. Die ähnlichen Zahlen der verschiedenen Wahlen in Guben, auch wenn sie zeitlich nah beieinander lagen, scheinen diese Tendenz zu bestätigen. Das heißt, in Guben haben sich regelmäßig 350 bis 400 Wähler für eine Partei entschieden, die offen völkisch und ausländerfeindlich auftritt und deren lokale Akteure zum Teil in Verbindung zu Gewaltstraftaten und Propagandadelikten gebracht wurden. Wie sich die Gruppe dieser Wähler zusammensetzt, lässt sich nicht sicher bestimmen. Die rechnerischen Überlegungen weisen aber darauf hin, dass man der Frage nachgehen müsste, welche Wahlergebnisse die NPD zum Beispiel bei jüngeren Männern in der Obersprucke erzielte.

Über ihre Wähler könnte man zudem etwas über die politische Bedeutung der NPD erfahren. Drei Kommunalmandate sind das eine. Auch wenn die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten gering und die Fähigkeiten der Abgeordneten teils recht limitiert sind, tragen sie zur Stabilisierung der NPD-Arbeit in der Region bei. Der andere und vielleicht bedeutendere Punkt ist, wie sich 350 bis 400 NPD-Wähler abseits der Wahlen im Alltagsleben einer Stadt bemerkbar machen.

Wie die Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl in Guben aussehen, wird der 22. September zeigen. Im Vergleich zu früheren Wahlergebnissen könnten einige Faktoren Einfluss haben, etwa die Mobilisierungsfähigkeit der NPD, politische Konkurrenten, aktuelle Stimmungslagen oder soziale und politische Entwicklungen in Guben in den letzten Jahren. Dass die NPD nicht in den Bundestag einzieht, gilt als recht wahrscheinlich. Am Ergebnis in Guben werden sich zumindest Thesen überprüfen lassen. Es könnte auch eine Tendenz für die Kommunalwahlen und die Landtagswahl 2014 aufzeigen. Der gegenwärtige regionale Wahlkampf der NPD zielt jedenfalls jetzt schon auf diese Termine.

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Opfer – Tat – Ort – Gedenken. Mediale Erinnerungsbilder der ‚Hetzjagd von Guben’ http://www.re-guben.de/?p=277 http://www.re-guben.de/?p=277#comments Thu, 07 Mar 2013 18:08:32 +0000 http://www.re-guben.de/?p=277 Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Jede Berichterstattung benötigt Bildmaterial. Es soll das geschriebene oder gesprochene Wort ergänzen oder wenigstens illustrieren. Es soll die Aufmerksamkeit auf einen Text oder einen Beitrag, bestenfalls aber auf das Ereignis selbst lenken. Es soll Anlass und Auslöser sein, sich mit etwas zu beschäftigen. Mit der ihnen unterstellten Authentizität sollen Fotografien – entgegen allem Wissen um ihre Manipulierbarkeit – die Realität eines Geschehens dokumentieren. Manchen Bildern gelingt es, ikonenhaft mit Ereignissen verknüpft zu werden, scheinbar für sie zu stehen. Dabei sind Fotografien zudem eine Möglichkeit neben anderen, eine Erinnerung zu erzeugen oder zu erhalten. Sie bekommen für diejenigen, die Fotografien herstellen, wie für diejenigen, die sie verwenden, eine Bedeutung. Dabei ergänzen sie andere Medien der Vermittlung, der Auseinandersetzung und der Berichterstattung; bezogen auf rechte Gewalttaten zum Beispiel Gerichtsverfahren, Berichte von Opfern, materiell hergestellte Erinnerungszeichen, Deutungsangebote der Gesellschaft usw. Tatsächliche Abbildungen in diesem Kontext gibt es nur in außerordentlich begrenztem Umfang.

Für die medialen Darstellungen zur ‚Hetzjagd von Guben’ und zum Tod von Farid Guendoul (Omar ben Noui) existieren im Wesentlichen zwei bildhafte Motive: eine farbige Porträtaufnahme und Abbildungen vom Gedenkstein. Bei Ersterem handelt sich um ein Passbild Farid Guendouls, wie es sich sehr wahrscheinlich in seinen deutschen Papieren befand. Zu sehen ist ein ernst schauender, junger, gutaussehender Mann mit dunklen Haaren und Augen, der direkt in die Kamera blickt. Mit seinem Tod ging eine wesentliche Änderung der Funktion dieses Bildes einher: Das Dokument, das die Authentifizierung seiner Person in amtlichen Belangen ermöglichen sollte und dabei nur einer begrenzten und reglementierten Zahl von Betrachtern zugänglich war, verknüpfte nun medial die Ereignisse vom 13. Februar 1999 mit einer visuellen Vorstellung vom Opfer. Die Vorgaben, die bei seiner Herstellung eingehalten werden mussten – Bildausschnitt, Blickrichtung, Mimik –, führen heute dazu, dass der Betrachter, in erster Linie der Zeitungsleser, direkt von Farid Guendoul angeschaut wird. Damit wird für einen Moment das Verstreichen der Zeit aufgehoben: Nicht nur ich sehe das Foto an, während ich den Zeitungsartikel lese, sondern die abgebildete Person scheint meinen Blick zu erwidern. Betrachter und abgebildete Person gehen so immer wieder in der jeweiligen Gegenwart eine Beziehung ein. Guendoul trägt ein helles Hemd, darüber vermutlich einen roten Pullover. Es ist ein freundliches Bild, und die Betrachter dürften mehrheitlich von der Person positiv eingenommen sein, der fordernde Blick hat nichts Abschreckendes.

Das Bild fand im Zuge der umfangreichen Berichterstattung über die Tat und nachfolgende Ereignisse seine massenmediale Verbreitung, kaum ein Artikel oder Beitrag zu den Ereignissen kommt ohne es aus. Sie sind auf diese Weise vor allem mit dem toten Opfer verknüpft; die beiden anderen verfolgten Asylbewerber sind auf der Bildebene nicht präsent. Die Aufnahme ist nicht erweiter- oder veränderbar. Farid Guendoul ist tot, es werden keine weiteren Bilder von ihm gemacht werden können. Selbst wenn seine damaligen Freund/innen oder seine Familie noch über Fotografien verfügen sollten, sind diese nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Bis heute hatte niemand mehr ein Interesse daran, das Image von Guendoul um weitere bildhafte Vorstellungen zu erweitern und sich vor diesem Hintergrund auf die Suche nach älteren Aufnahmen zu machen. Dies korrespondiert mit dem Umstand, dass auch über die Person Farid Guendoul wenige Fakten bekannt gemacht wurden.

Auf einer übergeordneten Ebene setzt die Veröffentlichung des Bildes die Prämisse um, den Opfern ein Gesicht zu geben, ein Akt, der sie gemeinhin wieder individualisieren soll. Zudem wird er – unter anderem im Kontext der Erinnerung an die im NS ermordeten Juden oder an die Opfer an der innerdeutschen Grenze – dahingehend verstanden, dass er ihnen ihre „Würde“ wiedergäbe, womit er als gesellschaftlich anerkannte Form von Gedenken angesehen werden kann. Dieses Gesicht-geben ist damit für diejenigen, die an Opfer oder Ereignisse erinnern wollen, eine Möglichkeit, dies auf eine Weise zu tun, die öffentlich weniger in Frage steht als zum Beispiel das Initiieren von Gedenkorten. Diese aktiven Personen und/oder Initiativen sind es dann, die einen Umgang mit der jeweiligen Tat finden können, die sie als gerecht oder angemessen für diejenigen erachten, die nicht mehr definieren können, ob und wie sie in Erinnerung bleiben wollen.

Aufgrund der breiten Berichterstattung über die ‚Hetzjagd von Guben’ und der damit einhergehenden Verbreitung des Porträts von Farid Guendoul kann davon gesprochen werden, dass das Ereignis selbst mit ihm auf einer bildhaften Ebene verbunden ist. Er und sein Bild stehen darüber hinaus exemplarisch für die Opfer rechter/rassistischer Gewalt in Deutschland.

Das Porträt wurde außerdem einmalig auf kleinen Schildern in den öffentlichen Raum getragen: Im Kontext der ersten Reaktionen nach seinem Tod hinterließen Bürger/innen Tafeln am Tatort, auf denen das Bild als stark vergrößerte Kopie geklebt wurde. Vereinzelt fanden Fotografien dieser Situation an der Hugo-Jentsch-Straße 14 Eingang in mediale Präsentationen. Sie verbanden das Gesicht Guendouls mit einem unmittelbaren Gedenken vor Ort – das heißt konkreten Tatort, das Opfer, die Trauer der Gubener Bevölkerung – zu einer Collage, die diese drei Aspekte in Beziehung setzt; eine bildhafte Verknüpfung, die im Folgenden nicht wieder aufgegriffen wurde.

Abbildungen des Gedenksteins existieren in unterschiedlichen Varianten, die sich – unabhängig davon, ob es sich um die erste oder die zweite Version der Tafel handelt – in zwei Kategorien einteilen lassen: Aufnahmen, welche den Gedenkstein in seiner Funktion als Gedenkort zeigen, und Aufnahmen, welche auf den Umgang mit der Tat verweisen wollen.

Für die erste Kategorie werden Fotografien hergestellt und veröffentlicht, die entweder Menschen (-gruppen) zeigen, die sich hier versammeln und Blumen etc. ablegen – damit den unmittelbaren Akt des Gedenkens selbst –, oder Aufnahmen, die den Gedenkstein im Nachhinein mit den hinterlassenen materiellen Erinnerungszeichen präsentieren. All diese Fotografien halten fest, dass es Menschen gibt, die sich an Farid Guendoul und/oder die Tat selbst erinnern (wollen) und unterscheiden sich in dem, worauf sie darüber hinaus verweisen: den Akt des Gedenkens in der punktuellen, anlassbezogenen Anwesenheit der Akteure oder den Akt des Gedenkens in seinen Zeichen, die zeitlich weniger eindeutig zuzuordnen sind.

Die zweite Kategorie zeigt den Gedenkstein zum einen im Kontext der Versuche, ihn zu zerstören: So gibt es Aufnahmen, welche die zerbeulte oder eine zerkratzte Tafel abbilden oder den Stein, nachdem diese Platte im März 2000 aus der Verankerung gerissen worden war. Zum anderen zeigen Aufnahmen seinen Zustand zu einem scheinbar beliebigen Zeitpunkt. Sie dokumentieren damit nicht nur seine Existenz, sondern sie vermitteln, dass das Gedenken an Farid Guendoul im öffentlichen Raum wenig Beachtung findet. Sie zeigen, wie verlassen der Stein ist, wie im jegliche Anbindung an den städtischen Raum fehlt, dass es kein öffentliches Interesse gibt, ihn in einem gemeinhin als „würdig“ anerkannten, dass heißt wenigstens in seiner Form unversehrten Zustand zu halten. Dies kann – wer will – als Umgang in der Stadt mit der Tat selbst lesen, als Weigerung, sich zu erinnern, dem Opfer zu gedenken, die Tat als das was sie war – eine rassistisch motivierte Jagd rechter Gubener Jugendlicher – zu verurteilen.

Zusammengefasst verweisen die veröffentlichten Bilder auf zwei Momente: das Opfer als Mensch vor der Tat und das (Nicht-)Gedenken an die Tat. Sie selbst ist damit als Ereignis auf dieser Ebene der Darstellung – damit der Erinnerung – nicht präsent. Dies liegt daran, dass es zum Zeitpunkt des Geschehens für die Täter noch nicht üblich bzw. technisch möglich war, die Tat selbst zu filmen oder zu fotografieren, und es im öffentlichen Raum, in dem sie sich ereignete, keine Überwachungskameras gab, die Bildmaterial erzeugt hätten, das im Nachhinein verwendet werden könnte, wie es in den letzten Jahren zum Beispiel bei Überfällen in großstädtischen U- oder S-Bahnstationen üblich wurde.

Allerdings existiert im Zusammenhang mit Gewalttaten eine weitere Bildkategorie: fotografische Aufnahmen der Tatorte. Sie werden einerseits im Zuge der ersten Ermittlungen von den Behörden angefertigt und andererseits von Medienvertretern, die sie dann besonders häufig für ihre ersten Berichte verwenden. Bei dieser – neben dem Porträt und den Gedenksteinbildern – dritten Bildrubrik handelt sich für die ‚Hetzjagd’ um Aufnahmen aus dem Hauseingang, mutmaßlich vom Tag der Tat: die zertretene Glasscheibe der Eingangstür und nach oben führende Treppenstufen voller Blut. Beide sind Verweise auf die Brutalität dessen, was sich in der Nacht ereignete. Das Bild der Treppe ist zudem die bildhafteste Darstellung der Folgen dessen, was passiert ist. Sie ist Zeugnis der Dramatik der Ereignisse, Verweis auf den qualvollen Tod Farid Guendouls, ähnlich der Formulierung „verblutet“ im Text des Gedenksteines. Die Aufnahmen wurden allerdings hauptsächlich in der ersten Zeit nach der Tat veröffentlicht; sie fanden keinen Eingang in die weitere mediale Berichterstattung zu den Ereignissen der Nacht. Damit fehlt auf dieser Ebene der Erinnerung ein Bild dafür, was zwischen Farid Guendouls Existenz als ernst schauendem, jungen Mann und der Erinnerung an ihn steht. Die Tat selbst, die Grausamkeit seines Sterbens im Hauseingang der Hugo-Jentsch-Str. 14 wird ausgeklammert, die bildhafte Ebene beschränkt sich auf die Hinweise, dass er als Opfer ein Gesicht hatte und den Erinnerungs(un-)willen in Guben.

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Wie es geschah – Die Nacht zum 13. Februar 1999 http://www.re-guben.de/?p=270 http://www.re-guben.de/?p=270#comments Tue, 05 Mar 2013 09:43:07 +0000 http://www.re-guben.de/?p=270 Vor der Frage Warum konnte es geschehen? steht die Frage Wie ist es geschehen? Mit dieser Idee hat die Soziologin Michaela Christ in einer Studie die Ereignisse und Dynamiken der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1999 in Guben untersucht. Sie hat RE:GUBEN eine umfangreiche Darstellung zur Verfügung gestellt, die wir hier als PDF anbieten. Die Autorin rekonstruiert darin im Detail die Nacht, an deren Ende Farid Guendoul tot war.

Michaela Christ: Die Jagd. Über den Tod von Farid Guendoul in Guben in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1999

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Ein Stein ist ein Stein ist ein Stein… http://www.re-guben.de/?p=44 http://www.re-guben.de/?p=44#comments Wed, 13 Feb 2013 02:20:47 +0000 http://www.re-guben.de/?p=44 Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Guben, Gedenkstein für Farid Guendoul

Vom Zustand der Erinnerung an Farid Guendoul in Guben

Die Bedeutung von materiellen Erinnerungszeichen, zu denen Denk- und Mahnmale, künstlerische und architektonische Installationen ebenso wie Gedenktafeln gehören, wird häufig in der Aussage gesehen, die sie über den Erinnerungswillen der sie errichtenden Gemeinschaft zum Zeitpunkt ihrer Entstehung machen. Aussagen zum erinnerten Gegenstand, das heißt, dem historischen Ereignis, auf das sie sich beziehen, gelten als nachgeordnet. Wer heute auf den Gedenkort für Farid Guendoul in unmittelbarer Nähe zur Cottbuser Straße – der B320 – aufmerksam wird, kann demnach zuallererst feststellen, dass der Stadt Guben nach dem Tod des algerischen Asylsuchenden Farid Guendoul daran gelegen war, an ihn zu erinnern, im materiellen Sinn des Wortes, ein Zeichen zu setzen.

Farid Guendoul (28 Jahre)
verblutet am 13. Februar 1999
Mahnmal
gegen Rassismus
gegen Gewalt
gegen Fremdenfeindlichkeit
Die Würde des Menschen ist unantastbar!

steht auf der Inschrift einer Platte, die auf einem im Boden versenkten Stein aufgebracht ist. Der kleine Text geht auf das Frühjahr 2000 und das Engagement des Gubener ‚Forums gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit’ zurück, eines Zusammenschlusses von Vertreter/innen verschiedener Parteien, Vereinen und anderen Institutionen und damit der politischen und zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit der Stadt.

Zu lesen ist zum einen, dass ein Mensch mit einem nichtdeutsch anmutenden Namen gestorben ist. Auffällig ist dabei die konkrete Bezeichnung seines Todes, er ist „verblutet“; damit wird eine besonders drastische Art des Sterbens benannt, den Leser/innen ein dramatisches Bild vermittelt. Zum anderen wird der Standort des Gedenksteins als Mahnmal definiert. Dabei setzt die Inschrift den Schwerpunkt auf die Verweise zur Funktion des Ortes. Das Ereignis und sein Ablauf sind nachgeordnet. Es wird somit – im Gegensatz zur konkret grauenvollen Benennung seiner Todesursache – kein Beitrag zu einem Verständnis darüber geleistet, was genau an diesem Tag geschah. Aber auch die mahnenden Forderungen sind floskelhafte Allgemeinplätze.

Davon ausgehend, dass beide Teile des Textes in einem Verhältnis stehen, kann der Tod eines Ausländers als Ursache für die Errichtung des Mahnmals verstanden werden und damit für die Möglichkeit der Stadt, ein Bekenntnis abzugeben und sich zu positionieren gegen gemeinhin als geächtet anzusehende Haltungen. Dies könnte ein Verweis auf die gesellschaftliche Situation zum Zeitpunkt der Einrichtung sein: Offensichtlich war es notwendig, dass die Stadtoberen an dieser Stelle Rassismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit verurteilen und gleichzeitig darauf verweisen, dass es eine unantastbare Würde des Menschen gäbe. Gleichzeitig lässt dies den Schluss zu, dass Farid Guendoul nicht einfach nur „verblutet“ ist, sein Tod vielmehr im Zusammenhang mit Rassismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und nicht respektierter Menschenwürde steht. Das Mahnmal verweigert einseitig eine Zuordnung zu konkret handelnden Menschen; offen bleibt, wer der oder die Täter waren und welche Tat sie begingen. Zudem schließt sie die beiden Überlebenden ihres Angriffs – Issaka K. und Khaled B. – aus der Erinnerung aus.

Nicht nur der Inhalt der Tafel bedarf einer Kenntnis dessen, was am 13. Februar 1999 geschah, auch der Standort verweigert sich einer Zuordnung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass er sich auf den Tod eines Menschen in Guben bezieht. Aber bereits derjenige, der ihn heute aufsucht, muss um seine Existenz wissen: auf einer Wiese, zwischen einer Reihe aus kleinen Bäumen und einer dicht befahrenen Straße. Fußgänger/innen passieren ihn mit Sicherheit selten, kein angelegter Weg führt auf ihn zu oder unmittelbar an ihm vorbei. Offensichtlich ist seine räumliche Bezuglosigkeit. Auf der Wiese selbst erscheint die Standortwahl willkürlich, jeder andere Platz innerhalb eines Radius von 20 Metern käme auch in Frage. Wer mit der Möglichkeit, die Inschrift zu lesen, vor ihm steht, hat als Hintergrund die Wiese und die Straße, mithin keine visuellen Bezüge, die den Gedenkstein in seiner Lage kontextualisieren könnten. Linkerhand, aber in einiger Entfernung – erst durch eine große Rasenfläche, dann durch eine Wohngebietsstraße mit Parkplätzen erreichbar – steht eine sanierte Plattenbaureihe.

Nur wer um die Ereignisse vom 13. Februar 1999 weiß, könnte eine Beziehung zu einem Ort herstellen, der einst einige Metern im Rücken des/der Gedenksteinsucher/in lag: Bis 2003 befand sich dort die Zeilenbebauung der Hugo-Jentsch-Straße, damit auch der Hauseingang Nr. 14, in dem Farid Guendoul verblutete. Heute ist dort lediglich eine Wiesenfläche mit einzelnen Sträuchern, angrenzend richtete die Stadt einen Park mit einem Kletterfelsen ein. Es gibt also keine Bewohner/innen mehr, welche es als Stigmatisierung empfinden könnten, wenn an ihrem Hauseingang an Farid Guendoul erinnert wird, wie es noch im Zuge der Einrichtung der Gedenkstätte der Fall war. Damit ist davon auszugehen, dass niemand auf die Idee kam, den Gedenkstein wenigstens mit dem Abriss an den Ort zu verlegen, an dem der Algerier starb und damit ein Mindestmaß an Zuordnung zu ermöglichen. Die Platte selbst ist mehrfach zerkratzt, ein wenig verbeult, an einigen Stellen fehlt es der Inschrift an Farbe. Dieser Zustand bietet keinen Hinweis auf Akteur/innen, denen ein makelloser Zustand als Verweis auf die Würde der Erinnerung an den Toten ein Anliegen wäre.

Während die Tafel die Ereignisse am 13. Februar 1999 nur andeutet, Inhalt, Standort und Zustand einige Rückschlüsse auf seine Bedeutung und Wahrnehmung in Guben nahe legen, ist die Geschichte seiner Entstehung nicht ablesbar. Der Gedenkort selbst war bereits am 16. Juli 1999 eingeweiht worden, allerdings ging die Initiative nicht von der Stadt, sondern von der Antifa Guben aus. Dieses Datum in seiner zeitlichen Nähe zum 13. Februar erscheint vor dem Hintergrund, dass – auch im Kontext der Prozesseröffnung am 3. Juni 1999 – das Ereignis selbst noch sehr präsent und damit Bestandteil einer aktiven Erinnerung und eines kommunikativen Gedächtnisses war, ungewöhnlich. Er sollte weder einem Geschehen gedenken, über das vor Ort ein Konsens herrschte – dann wäre die Initiative überflüssig gewesen oder zum Beispiel von einer städtischen Einrichtung ausgegangen –, noch etwas in Erinnerung rufen und archivieren, dass in eine öffentliche oder gesellschaftliche Vergessenheit zu geraten droht, falls es nicht in andere Medien übertragen werden kann. Vielmehr scheint es für die Akteur/innen notwendig gewesen zu sein, reagierend auf die Stellungnahmen und Stimmungen in der Stadt ein Statement im öffentlichen Raum abzugeben.

Da es sich bei der Antifa Guben um eine Gruppe handelt, die einen kommunalen Diskurs weder vorgibt noch maßgeblich bestimmt, ist der Gedenkstein also auch ein Verweis darauf, dass sie im Zuge der Reaktionen auf den 13. Februar zu einem Akteur wurde, der sich öffentlich wahrnehmbar positionieren konnte und dem dies, bezogen auf die Einrichtung des Gedenksteins, ohne ein langwieriges Verfahren möglich war. Dass der Gedenkstein nicht die Haltung der Stadt zu den Ereignissen darstellte, wird zudem deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Gedenkstein zunächst eine andere Tafel mit anderer Inschrift trug, die in der Nacht vom 3. zum 4. März 2000 von bis heute polizeilich nicht ermittelten Personen gestohlen wurde:

Hier starb am frühen Morgen des 13. Februar 1999
OMAR BEN NOUI (28 Jahre)
Er wurde Opfer einer rassistischen Hetzjagd
von rechten Gubener Jugendlichen
Wir werden sein Andenken bewahren.
Antifa Guben

Mit der Inschrift werden zunächst vier Aspekte deutlich: „Hier“ verortet das Geschehen. Im Kontext der Geschichte des Gedenksteins verweist dies auf das Bemühen der Initiatoren, die Tafel am Hauseingang selbst anzubringen, und darauf, dass der heutige Standort demnach ein Kompromiss war, der diese Zuschreibung absurd erscheinen lässt: Hier ist eben nicht da drüben, über die Straße und dann nochmal 20 Meter weiter. Zum Zweiten ist Omar ben Noui der Name, unter dem Farid Guendoul in Deutschland lebte, und der, unter dem sich die Erinnerung an das Ereignis weithin durchsetzte. Zum Dritten bezieht die Inschrift das Geschehen ein und macht es konkret: Farid Guendoul wurde nicht Opfer abstrakter gesellschaftlicher Begriffe von Rassismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit; er wurde von rechten, rassistisch agierenden Jugendlichen, die aus der Stadt Guben selbst kamen, in den Tod gehetzt. Schließlich widmet die Antifa der Funktion des Ortes nur eine Zeile: Der Gedenkstein dient der Selbstvergewisserung der Gruppe; sie ist es, die das Andenken des Opfers zu bewahren verspricht.

In den ersten Jahren der Existenz des Gedenksteins wurde die Platte wiederholt zerkratzt, bespuckt, mit Bier und anderen Flüssigkeiten bekippt, von Hunden angepinkelt. Sie wurde unter Zuhilfenahme eines schweren Gegenstandes zerbeult und sie wurde gestohlen. Blumen wurden nach Gedenkveranstaltungen regelmäßig zertreten oder weggeschmissen. Eine Initiative um den damaligen Generalsuperintendenten und Vorsitzenden des Brandenburger Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit Rolf Wischnath wollte sie ins Rathaus verlegen. Zahllose Einwohner/innen von Guben wünschten sich öffentlich, dass sie entfernt werden solle.

Die Gedenkstätte war damit nicht nur ein umstrittener Ort, der in Folge eines Kompromisses und unter Ausblendung der tatsächlichen Ereignisse hergestellt wurde, sie war vor allem ein bekämpfter Ort, der aus dem städtischen Raum wieder verschwinden sollte. Ihr heutiger Zustand, ihre faktische Nichtwahrnehmbarkeit im öffentlichen Raum und das Fehlen einer größeren gesellschaftlichen Gruppe, für die dieser Ort ein Erinnerungsort ist, legen nahe, dass sie gar nicht mehr entfernt werden musste, um dem Vergessen anheimzufallen.

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